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Zentrale Sozialreformen im Abseits

Rentenpaket II und Pflegereform werden nach Regierungs-Aus nicht mehr realisiert.

Blick in den Bundestag während einer Plenarsitzung.
Am 23. Februar 2025 ist voraussichtlich Wahltermin. Doch bevor eine neue Regierung ins Handeln kommt, werden Monate vergehen. Foto: Bernd von Jutrczenka / picture alliance

Die Ampelregierung ist Geschichte. Am 16. Dezember wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Vertrauensfrage stellen; Neuwahlen am 23. Februar gelten als gewiss. Leider wurden wichtige sozialpolitische Vorhaben – zum Teil im Koalitionsvertrag versprochen – bislang nicht umgesetzt. Für sie gibt es nun zumindest in dieser Legislatur kaum Hoffnung mehr. Andere Großprojekte wie die Krankenhausreform wurden in letzter Minute verabschiedet. Der SoVD mahnt zur politischen Stabilität.

SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier hat die politischen Akteur*innen aufgefordert, bis zu den Neuwahlen die politische Arbeit nicht einzustellen und die für die Gesellschaft wichtigen Sozialreformen unabhängig von ihrer politischen Heimat zu unterstützen. Denn auch, wenn bald Neuwahlen sind: Eine künftige Regierung kann frühestens im Frühsommer handlungsfähig sein. Und dann wird es wiederum dauern, bis Vorhaben umsetzbar sind – Zeit, die es angesichts vieler drängender sozialer Fragen und Herausforderungen nicht gibt! „Wir leben in Zeiten von Krisen, Kriegen und Konflikten. Vor uns allen liegen damit riesige Aufgaben, noch nicht angestoßene – aber bitter nötige – Reformen und eine Vielzahl von ungelösten Problemen“, stellt Engelmeier fest.

Zu den wichtigen Vorhaben, die nicht mehr umgesetzt werden, gehört das von Millionen Rentner*innen erwartete Rentenpaket II. Vor Kurzem erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil seine Reform für gescheitert. Im Bundestag räumte der SPD-Politiker ein, dass das Gesetzesvorhaben, für das er mit Nachdruck geworben hatte, nicht abgeschlossen werden könne. Er setze sich weiter für die Sicherung des Rentenniveaus ein, betonte Heil.

Keine Mehrheit für Rentenpaket II 

Das Paket war ein mühsam verhandelter Kompromiss zwischen dem Bundesarbeitsminister und dem inzwischen entlassenen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Im Kern sah der Gesetzentwurf vor, das Rentenniveau bis 2039 bei 48 Prozent festzulegen, damit die Altersbezüge nicht hinter der Entwicklung der Durchschnittseinkommen zurückbleiben. Beide Parteien hatten zudem nach langem Ringen den Einstieg in eine anteilige Finanzierung der gesetzlichen Renten aus Einnahmen am Aktienmarkt vereinbart.

Dafür wollte man den Bund verpflichten, Kredite aufzunehmen und jährlich zehn bis zwölf Milliarden Euro in einen Fonds einzuzahlen. Aus den Erträgen des „Generationenkapitals“ sollten von Mitte der 2030er-Jahre an Mittel in die Rentenversicherung fließen. Doch kurz nach der Einigung forderten die Liberalen weitere Beratungen.

Nach dem Regierungsende hat nun auch die Union ausgeschlossen, der Reform im Bundestag zur Mehrheit zu verhelfen. Der SoVD, der das Rentenpaket II als wichtigen Schritt hin zur Stabilisierung des Rentenniveaus begrüßt hatte, bedauert das sehr. Er fordert mittelfristig eine Anhebung auf 53 Prozent und die Weiterentwicklung der gesetzlichen Renten- zu einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle einbezogen werden – auch Selbstständige, Beamte und Abgeordnete (siehe auch www.diebessererente.de).

Weg frei gemacht für die Krankenhausreform

Am seidenen Faden hing bis zuletzt die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Für sie machte der Bundesrat am 22. November den Weg frei. Die Länderkammer ließ das zuvor noch von der Ampelkoalition im Bundestag beschlossene Gesetz passieren. Keine Mehrheit fand die Anrufung des gemeinsamen Vermittlungsausschusses.

Das Gesetz, das eine grundlegende Neuordnung der deutschen Kliniken vorsieht, tritt zum 1. Januar 2025 in Kraft. Die Einführung der neuen Struktur wird sich über mehrere Jahre bis 2029 erstrecken. Vor allem den finanziellen Druck auf Kliniken soll die Reform mindern. Gleichzeitig will man mehr Spezialisierung durchsetzen. Kliniken erhalten statt der bisherigen Fallpauschalen künftig 60 Prozent der Vergütung allein für das Vorhalten bestimmter Angebote. Das soll Anreizen zu immer häufigeren und medizinisch teils nicht optimalen Eingriffen einen Riegel vorschieben. Der Bundesgesundheitsminister hatte die Notwendigkeit der Maßnahmen auch mit dem Argument unterlegt, dass viele Patient*innen große Operationen nicht überlebten, weil es für die Eingriffe in zahlreichen Kliniken keine ausreichende Spezialisierung gebe. Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sind deshalb fortan neue Leistungsgruppen, die Klinikbehandlungen genauer beschreiben und so bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben absichern. Unter anderem durch die Möglichkeit ambulanter Angebote sollen kleine Häuser auf dem Land Unterstützung erfahren. Dass dennoch etliche Kliniken infolge der Reform schließen werden, bezweifelt indessen niemand.

„Keine Beitragsmittel zur Finanzierung verwenden!“

„Grundsätzlich geht die Reform in die richtige Richtung, weil sie den hohen finanziellen Druck aus dem System nimmt und gleichzeitig die Qualität der Versorgung verbessert“, bewertet Michaela Engelmeier als SoVD-Vorstandsvorsitzende das Großprojekt. „Wir brauchen in Deutschland eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige Krankenhausversorgung!“ Kritik äußert sie hingegen an den zur Umsetzung beschlossenen Finanzierungsregelungen. Hier sind 50 Milliarden Euro aus einem „Transformationsfonds“ eingeplant. 50 Prozent davon soll die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aus Beitragsmitteln bezahlen. „Es kann nicht sein, dass die Hälfte der 50 Milliarden Euro, die über zehn Jahre in den Fonds fließen, aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds kommt und damit auf Kosten der Versicherten.“ Das sei eine Zweckentfremdung von Beitragsmitteln und auch angesichts der überaus angespannten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung unverantwortlich, bemängelt die SoVD-Vorstandsvorsitzende.

Auch der Pflege galten in dieser Legislatur umfassende Pläne. Eine große Pflegereform war spätestens für den Herbst vorgesehen. Das scheint nun nicht mehr umsetzbar. Die zu lösenden Herausforderungen sind immens: hohe Zuzahlungen bei den Pflegekosten, Milliardendefizite bei den Pflegekassen, völlig unzureichende Unterstützungs- und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige. Mit dem demografischen Wandel wird die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Die nach dem Regierungsbruch noch beschlossene Beitragserhöhung um 0,2 Prozent zum Beginn 2025 dürfte langfristig zur Finanzierung kaum ausreichen.

Der SoVD ist überzeugt: Um dem Pflegenotstand wirksam und vor allem solidarisch zu begegnen, braucht es eine umfassende Reform. Er wirbt deshalb erneut für den Umbau der Pflegeversicherung zu einer tragfähigen und zukunftssicheren Bürgervollversicherung. Nur so seien die Versicherten vor kaum mehr zu stemmenden Eigenanteilen zu bewahren, die durchschnittliche Rentenhöhen bei Weitem übersteigen. „Pflege muss ein zentrales Thema im Wahlkampf und für die kommende Regierung sein!“, fordert Michaela Engelmeier.

Höherer Mindestlohn beugt noch nicht Altersarmut vor

Zu den eingelösten Versprechen gehört ein höherer gesetzlicher Mindestlohn: Rund 6,2 Millionen Beschäftigte profitieren davon, dass die Lohnuntergrenze auf 12,41 Euro brutto in der Stunde angehoben wurde und mit Beginn des nächsten Jahres auf 12,82 Euro steigen wird. Nach Einschätzung des SoVD ist das jedoch zu wenig, um Altersarmut zu verhindern. „Wir müssen die Inflation, die steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten mit noch besseren und gerechten Löhnen abfedern“, stellt Michaela Engelmeier fest. „Dazu muss die Lohnuntergrenze auf 15 Euro steigen.“

Der SoVD kritisiert außerdem die unzureichende Wohnungsbaupolitik der auseinandergebrochenen Regierung. Hinter dem Versprechen, jährlich 100.000 Sozialwohnungen zu bauen, blieb das Bundesbauministerium weit zurück. Und dies, obwohl die Mietpreise gerade in den Großstädten ins Unbezahlbare ausufern.

Einige gute Ansätze gab es in der Familienpolitik: Der steuerliche Kinder- und der Grundfreibetrag werden erhöht. In den Kinderzuschlag für erwerbstätige Eltern mit geringem Einkommen fließen ab 2025 ergänzend mehr als eine Milliarde Euro. Zu den positiven Ergebnissen gehört überdies das Programm „Startchancen“. Mit ihm werden jährlich eine Milliarde Euro in benachteiligte Schulen investiert. Auch die Fortführung des Kita-Qualitätsgesetzes war konsensfähig; Kosten: jährlich rund zwei Milliarden Euro.

Kindergrundsicherung kommt nicht mehr

Dass die im zweiten Anlauf verabschiedete Kindergrundsicherung dem Ampel-Aus zum Opfer fällt, ist allerdings ein harter Rückschlag für Millionen einkommensschwache Familien in Deutschland.

In puncto Kindergeld gibt es ab 2025 fünf Euro mehr pro Kind, nämlich monatlich 255 statt bislang 250 Euro. Interims-Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) erklärte zuletzt, er hoffe, weitere von der bisherigen Koalition geplante Maßnahmen durch den Bundestag zu bekommen.

Für die Behindertenpolitik wird das nicht mehr rechtzeitig sein. Hier fällt die Bilanz bitter aus. Zwar hatte der Koalitionsvertrag zahlreiche Inklusionsansätze enthalten, die Umsetzung war jedoch dürftig. So blockierte das Bundesfinanzministerium bis zuletzt die Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes, das die Privatwirtschaft zu mehr Barrierefreiheit verpflichtet hätte.

Gefährdet hat das Ampel-Aus im Übrigen die weitere Finanzierung des Deutschlandtickets. Der SoVD fordert, den Preis stabil zu halten und ein bundesweites Sozialticket einzuführen, das allen Menschen bezahlbare Mobilität ermöglicht.

SoVD wird den Parteien Kernforderungen übergeben

Der Verband plädiert insgesamt dafür, in Krisenzeiten aufgrund mehrfacher Ursachen die Schuldenbremse zu reformieren. „Wir sollten mutig in die Zukunft investieren – in eine bessere Infrastruktur, gleiche Bildungschancen und mehr Teilhabe für alle Menschen in unserer Gesellschaft“, sagt Michaela Engelmeier. „Lassen wir uns nichts vormachen! Weder ist der deutsche Sozialstaat im europäischen Vergleich ausufernd, noch liegen wir bei den Staatsschulden vorne!“

Der SoVD steht im engen Austausch mit der Politik und setzt sich weiter für eine stabile und demokratisch ausgerichtete Regierung ein, in der die soziale Gerechtigkeit wieder mehr Raum einnimmt. Noch im Dezember wird er den Parteien seine – gemeinsam mit allen SoVD-Landesverbänden entwickelten und abgestimmten – Kernforderungen für die anstehenden Wahlen mit auf den Weg geben.


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