Frau Riedel, können Sie sich noch an Ihren ersten Einsatz als ehrenamtliche Sozialrichterin erinnern?
Oh ja! Mein erster Tag war sehr aufregend, man wird ja vor der versammelten Mannschaft vereidigt. Ich weiß aber noch, dass der damalige vorsitzende Richter sehr nett war. Es ist eine schöne Erinnerung.
Wie sind Sie ehrenamtliche Sozialrichterin geworden?
Durch mein eigenes Schicksal. Ich habe es erlebt, wie es ist, sich mit einer körperlichen Behinderung im Beruf zu behaupten. Auch im Privatleben hat eine Behinderung in vielen Bereichen Auswirkungen. 1992 bin ich vom Sozialverband angesprochen worden, ob ich mir dieses Ehrenamt vorstellen könnte. Ich musste nicht lange überlegen – mittlerweile bin ich seit mehr als 25 Jahren am Sozialgericht.
Was ist die größte Herausforderung bei dieser Aufgabe?
Die Fälle am Sozialgericht können manchmal kompliziert sein. Das hängt damit zusammen, dass rechtliche und medizinischen Fragen aufeinander treffen. Ich selbst bin im Spruchkörper für Behinderten- und Entschädigungsrecht tätig. Hier geht es immer um die gesundheitlichen Einschränkungen derjenigen, die vor Gericht gezogen sind. Da ist jeder Fall anders. Besonders die Ausführungen der unterschiedlichen Fachärzte, von denen die Gutachten kommen, sind sehr interessant.
Aber das ist kein Grund, dass man sich dieses Ehrenamt nicht zutrauen sollte. Die rechtlichen Hintergründe werden immer durch den hauptamtlichen Richter erläutert. Es ist ein Zusammenspiel zwischen diesem Profi und Menschen, die ihre eigenen Erfahrungen aus dem Leben mit einbringen. Dafür sind ehrenamtliche Sozialrichter da.
Wenn jemand Interesse an diesem Ehrenamt hat – was sollte sie oder er auf jeden Fall mitbringen?
Gewisse medizinische Grundkenntnisse helfen auf jeden Fall. Wie gesagt, es geht sehr oft um Krankheit und Behinderung – und welche Ansprüche daraus für die Menschen entstehen. Wenn man selbst weiß, wie sich eine Behinderung im Alltag auswirkt, ist das für das Sozialgericht eine große Hilfe.
Noch wichtiger ist aber, keine Vorurteile zu haben! Man muss offen in jeden neuen Fall reingehen. Egal, ob es sich um das Thema Rente, Behinderung oder einen Fall aus dem Jobcenter handelt. Sie müssen sich in das Schicksal jedes Menschen hineindenken.
Was ziehen Sie selbst aus diesem Ehrenamt? Immerhin sind Sie schon mehr als 25 Jahre dabei!
Ich finde es sehr wichtig, die Akzeptanz bei den Menschen für unser Rechtswesen zu stärken. Und als ehrenamtliche Richterin sorge ich dafür, dass da eben nicht nur ein Profi sitzt, sondern jemand aus dem Alltag. Viele Menschen kommen zum ersten Mal in ihrem Leben ans Gericht, wenn es um ihre Gesundheit geht. Durch die Anwesenheit von uns ehrenamtlichen Sozialrichtern können wir Berührungsängste abbauen.
Gerade bei jüngeren Richtern merke ich auch, dass viele dankbar für unsere Lebenserfahrung sind. Einige kommen mehr oder weniger direkt nach der Ausbildung ans Gericht, sind Profis in der Rechtsprechung. Aber was Lebenserfahrung angeht – gerade zum Thema Behinderung und deren Auswirkungen auf die Menschen – da können wir Ehrenamtler eine wichtige Stütze sein.
Außerdem kann ich durch dieses Ehrenamt eine wichtige Aufgabe ausüben. Ich bin Bestandteil eines wichtigen Prozesses, das gibt mir persönlich ein gutes Gefühl. Man lernt ja auch viel dazu, auch nach 25 Jahren!
Wie sieht ein typischer Einsatz bei Ihnen aus?
Sehr unterschiedlich. Das kommt immer darauf an, wie komplex die Fälle sind. Mal bearbeitet man an einem Prozesstag vier oder fünf Fälle nacheinander, an anderen Tagen geht es nur um einen sehr komplizierten Fall. Pro Jahr erhalte ich vielleicht vier Einladungen.
Es ist immer so, dass neben dem hauptamtlichen Richter zwei Ehrenamtler dabei sind. Der hauptamtliche Richter führt durch die Verhandlung. Einen großen Raum nehmen die Ausführungen der Gutachter ein. Denn hier geht es um die tatsächlichen gesundheitlichen Einschränkungen der Betroffenen – und wie diese sozialrechtlich zu bewerten sind. Hier geht es also zum Beispiel konkret um die Frage: Bekommt der Kläger das Merkzeichen „G“ oder nicht? Muss die Rentenversicherung nun doch die Erwerbsminderungsrente zahlen? Oder ist das Jobcenter verpflichtet, die höheren Mietkosten zu finanzieren.
Anschließend zieht sich der Richter mit uns Ehrenamtlern zurück, und wir suchen gemeinsam nach einer Entscheidung. Alle drei Personen haben übrigens genau eine Stimme, auch der hauptamtliche Richter.
Hand aufs Herz, Frau Riedel, würden Sie noch einmal ehrenamtliche Sozialrichterin werden?
Auf jeden Fall!
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