„Am Anfang war mein Sachbearbeiter bei der Krankenkasse noch sehr nett“, erinnert sie sich, während wir gemeinsam mit ihrem Mann ihrer Küche sitzen. „Einmal im Monat hat er angerufen und sich freundlich nach meinem Gesundheitszustand erkundigt. Ich empfand das erst einmal als guten Service.“ Doch der Tonfall des Mitarbeiters habe sich bereits nach einiger Zeit verschärft. Lydia weiter: „Irgendwann hat er dann schon alle 14 Tage bei mir angerufen. Wann ich denn endlich wieder arbeiten gehe, wollte er wissen. Zuletzt hat er mich richtig unter Druck gesetzt.“
Krankengeld: „Zuletzt hat er mich richtig unter Druck gesetzt.“
Dieses Vorgehen von Krankenkassen ist leider kein Einzelfall. In den Sozialberatungszentren des SoVD in Schleswig-Holstein häufen sich zurzeit wieder die Fälle, in denen Menschen über Probleme mit ihrer Krankenversicherung klagen. Immer ganz vorn dabei: Schwierigkeiten mit dem Krankengeld. Astrid Abandowitz leitet den Kreisverband des SoVD in Neumünster. Sie sagt: „Gerade in letzter Zeit stellen wir leider wieder vermehrt fest, dass Krankenkassen Druck auf ihre Versicherten ausüben. Oft geht es dabei um den Bezug von Krankengeld.“
So auch bei Rolf Jäger*. Der 63-Jährige LKW-Fahrer lebt ebenfalls in Neumünster. Seit mehr als 30 Jahren schuftet er in seinem Betrieb, schon lange zahlt er für diese körperlich anstrengende Arbeit mit Rückenschmerzen. Im Herbst 2018 geht dann plötzlich nichts mehr. Nachdem Rolf Holz gestapelt hat, strahlen die Schmerzen so stark aus, dass er ins Krankenhaus muss. „Dort konnte ich an einem Tag mein linkes Bein nicht mehr bewegen“, erinnert sich der Holsteiner. „Als die Krankenschwester das festgestellt hat, wurde ich sofort operiert.“
Auf das Krankenhaus ist Rolf nicht gut zu sprechen. Verständlich, denn neben dem akuten Bandscheibenvorfall übersahen die Ärzte viel zu lange eine gefährliche Verstopfung in der Galle. „Ohne eine besonders engagierte Ärztin dort würde ich heute vielleicht nicht mehr leben“, so der 63-Jährige. Als Fahrer kann Rolf seitdem nicht mehr eingesetzt werden. Eine andere Tätigkeit, die seinen gesundheitlichen Fähigkeiten entgegen käme, sei laut Geschäftsleitung nicht frei. Krankengeld erhält er seit Oktober 2018.
— Nach 78 Wochen ausgesteuert? Lesen Sie hier, wie es nach dem Krankengeld weitergehen kann —
Auch Rolf erhielt vor einigen Wochen einen Anruf von seiner Krankenversicherung. Eine freundliche Dame fragte ihn nach seinem Befinden und kam zu dem Schluss „Dem Mann muss geholfen werden!“ Die Krankenkasse hatte sich auch schon etwas ausgedacht. Einige Tage später traf ein Brief ein: Der Neumünsteraner sollte „auf freiwilliger Basis“ – das wurde in dem Gespräch zuvor gleich zweimal betont – an einer individuellen Beratung im Berufsförderungswerk teilnehmen. In Stralsund.
„Da habe ich zu meiner Frau gesagt: Hier muss es einen Haken geben. Ich hatte von Anfang an ein komisches Gefühl.“ Rolf Jäger wendet sich an den Sozialverband. Auch dort ist man erst einmal überrascht. „Die Sache mit dem Berufsförderungswerk kannten wir hier noch nicht“, so Astrid Abandowitz. Doch es stellt sich die Frage: Warum sollte Rolf, der lückenlos krankgeschrieben ist, an einer Maßnahme in Stralsund teilnehmen? Vor diesem Hintergrund übernimmt der SoVD die Korrespondenz mit der Krankenkasse und argumentiert, dass sich Rolf gesundheitlich noch nicht in der Lage fühlt, an solch einem Angebot teilzunehmen. Da die Sache mit Stralsund auf freiwilliger Basis erfolgen sollte, hört der 63-Jährige erst einmal nichts mehr von seiner Kasse.
Anders bei Lydia Walewska. In seinen regelmäßigen Anrufen baut der Sachbearbeiter ihrer Krankenversicherung massiven Druck auf. Spricht von der Kasse als Solidargemeinschaft, die nicht von den Mitgliedern ausgenutzt werden dürfe. „Das muss man sich mal vorstellen“, so die 51-Jährige. „Da will man nichts lieber, als wieder zur Arbeit zu gehen. Und die Krankenkasse wirft Dir indirekt vor, Du würdest simulieren. Ich kann einfach nicht mehr. Man bekommt richtige Existenzängste.“
Jetzt will die Krankenkasse, dass Lydia ihren Arbeitsvertrag auflöst, um dann Arbeitslosengeld zu beziehen. Davon hat ihr der Sozialverband umgehend abgeraten. Warum sollte sie auch? „Dass die Krankenkassen wirtschaftlich arbeiten, ist ja richtig“, findet Jutta Kühl, die Landesvorsitzende des SoVD in Schleswig-Holstein. „Aber wenn eine Kasse auf dem Rücken der Schwachen – und dabei handelt es sich ja bei Menschen, die so schwer erkrankt sind – sparen will, dann ist das ein Skandal!“
Kommentare (6)
Rafael Jiménez
am 13.08.2023Guten Morgen, im Juni 2022 hatte ich eine Operation in Herzberg, die ging schief und man hat mir 60 % Invalidität zugesprochen, meine AOK-Versicherung unternimmt nichts, um eine Entschädigung vom Krankenhaus zu verlangen
Julia
am 10.11.2022Hallo,
nach COVID Erkrankung im Mai habe ich von meiner KV nun einen Reha Antrag erhalten. Die Wartezeit liegt laut KV bei ca drei bis vier Monaten, bis der Antrag bearbeitet ist. Hinzu kommt die Wartezeit für den Reha-Platz.
(Da ich Hauptpflegeperson unseres behinderten Kindes bin, hoffe ich, dass eine ambulante Reha bewilligt wird)
Könnte ich in dieser Wartezeit eine Wiedereingliederung machen und ggf. im Anschluss an einem angepasstem Arbeitsplatz wieder berufstätig sein oder schließt sich das gänzlich aus?
Ursprünglich wollte ich nur eine Eltern-Kind-Kur beantragen, was die KV als nicht zielführend ausgeschlossen und daraufhin den Antrag zur Reha versendet hat.
Christian Schultz
am 10.11.2022Hallo Julia, theoretisch wäre das möglich. Die Krankenkasse ist ja in der Regel froh, wenn Sie aus dem Krankengeld rausgehen. Entweder in die Rente oder eben zurück in den Job.
Julia
am 11.11.2022Vielen herzlichen Dank für Ihre Antwort.
Die Krankenkasse räumt mir eine Frist von knapp 3 1/2 Wochen ein, statt der vorgeschriebenen 10 Wochen. Auch finden sich keine Hinweise auf Rechtsfolgen in dem Schreiben. Inwieweit hat dieses Schreiben rechtlich überhaupt Bestand? Sollte ich die KV auffordern, die Formalien zu korrigieren oder wie gehe ich am Besten vor?
Christian Schultz
am 11.11.2022Wir können hier im Forum keine konkreten Empfehlungen für Ihre persönliche Situation aussprechen. Dafür müsste man sich Ihre Unterlagen selbst anschauen. Wenden Sie sich gern an meine Kollegen: https://www.sovd.de/sozialverband/organisation/landes-und-kreisverbaende
Regina Ptok
am 29.10.2019All das kenne ich nur zu gut. Ich bin 2007 an Krebs erkrankt. Nach Operation folgte Strahlentherapie und eine 5 Jahre andauernde Antihormontherapie. Nicht genug das meine Seele im Eimer war und auch immer noch ist, haben die Therapien eine Menge Nebenwirkungen hinterlassen. Und auch ich wurde von meiner Krankenkasse bös unter Druck gesetzt. Das geht einfach nicht. Es hat mich immer wieder zurück geworfen.
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