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Die fünf größten Ungerechtigkeiten im Sozialrecht

Pflege Armut Gesundheit

Deutschland ist ein reiches Land. Im Vergleich zu anderen Nationen leisten wir uns ein relativ engmaschiges Sicherheitsnetz, so dass Menschen bei Krankheit oder Behinderung nicht am Hungertuch nagen müssen. Das System der Sozialversicherung existiert bei uns bereits seit mehr als 100 Jahren – und wurde mit der Zeit immer wieder angepasst.

Deutschland ist ein reiches Land. Im Vergleich zu anderen Nationen leisten wir uns ein relativ engmaschiges Sicherheitsnetz, so dass Menschen bei Krankheit oder Behinderung nicht am Hungertuch nagen müssen. Das System der Sozialversicherung existiert bei uns bereits seit mehr als 100 Jahren – und wurde mit der Zeit immer wieder angepasst.

Als Sozialverband mit mehr als 150.000 Mitgliedern in Schleswig-Holstein sprechen wir jeden Tag mit Menschen, die auf die unterschiedlichen Hilfesysteme unseres Staates angewiesen sind. Leider fällt dabei auf: Trotz einer relativ guten Versorgung sind viele Menschen unzufrieden. Sie fühlen sich von der Politik – und teilweise auch der Verwaltung – im Stich gelassen. In den meisten Fällen sind Ungerechtigkeiten innerhalb des Sozialrechts der Auslöser für diesen Frust.

Fünf offensichtliche Ungerechtigkeiten, die uns immer wieder genannt werden, möchten wir in diesem Beitrag öffentlich machen.

1. Erwerbsminderungsrentner: Bestandsfälle profitieren nicht von Verbesserungen

In den vergangenen Jahren hat die Politik immer wieder die Zurechnungszeiten bei der Erwerbsminderungsrente angepasst. Bis 2014 wurden diese noch so berechnet, als ob die Betroffenen bis zum Erreichen des 60. Lebensjahres gearbeitet hätten. Mittlerweile gilt die jeweilige Regelaltersgrenze. In meinem Fall (Jahrgang 1979) würde das zum Beispiel bedeuten, dass eine EM-Rente bis zum 67. Geburtstag hochgerechnet würde.

Dieser Schritt war absolut richtig, Millionen von zukünftigen Erwerbsminderungsrentnern werden nun mehr Geld erhalten. Doch genau hier liegt auch ein Problem. Sämtliche Verbesserungen gelten tatsächlich nur für zukünftige Antragsteller. Die sogenannten „Altfälle“ haben von diesen Anpassungen nichts.

Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Wir reden hier nicht vom sprichwörtlichen „Schnaps oben drauf“. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente lag 2018 bei 716 Euro im Monat. Kein Wunder also, dass Betroffene wie Greta Jürgensen aus Niebüll von der Politik enttäuscht sind: „Wir haben doch nicht weniger geleistet als die Menschen, die nach uns krank geworden sind„, ereifert sich die Nordfriesin zurecht.

An dieser Stelle kann es nur eine gerechte Lösung geben: Die Zurechnungszeiten bei der Erwerbsminderungsrente müssen für alle Betroffenen bis zur Regelaltersgrenze angehoben werden.

2. Wer pflegebedürftig wird, dem droht die Armut

Die soziale Pflegeversicherung wurde 1995 mit dem Teilkasko-Prinzip eingeführt. Es war niemals beabsichtigt, dass im Pflegefall sämtliche Kosten durch die Versicherung abgedeckt werden. Insbesondere in diesem Jahr kommen allerdings immer wieder Bürgerinnen und Bürger in unsere Sozialberatung, die nicht mehr weiterwissen. Mutter oder Vater sind pflegebedürftig und leben im Heim – aber die Kosten gehen durch die Decke.

Wer kann schon von einer kleinen Rente einen monatlichen Eigenanteil von mehr als 2000 Euro bezahlen? Und das womöglich über viele Jahre. Die Politik darf die Menschen in dieser Frage nicht allein lassen. Eigenanteile bei der Pflege müssen gedeckelt werden. Damit der Staat seinem über 100-jährigen Versprechen wieder gerecht wird: Dass niemand durch Krankheit oder Behinderung verarmt.

3. Alterssicherung: Schluss mit dem Zwei-Klassen-System

Man muss sich das einmal vorstellen. Zwei Erwerbstätige arbeiten 45 Jahre in Vollzeit. Beide bringen in etwa den gleichen Lohn nach Hause. Der eine führt von seinem Bruttolohn jeden Monat einen erheblichen Anteil an die Rentenkasse ab, der gleiche Betrag kommt auch noch einmal von seinem Arbeitgeber. In derselben Zeit muss der andere Beschäftigte keine eigenen Beiträge für die Altersvorsorge abführen, sein Netto-Einkommen ist daher deutlich höher. Zeitlicher Sprung zum 65. Geburtstag. Beide Männer verabschieden sich jetzt in den Ruhestand. Welcher der zwei darf mit einer höheren Rente rechnen?

Mit gesundem Menschenverstand würde man wohl zu dem Schluss kommen, dass derjenige deutlich mehr erhält, der von seinem Einkommen regelmäßig etwas für die Rente abführen musste. In Deutschland ist das aber nicht so. Wer verbeamtet ist, erhält ohne eigenes Zutun eine im Vergleich zur gesetzlichen Rente üppige Pension. Klar, wir alle kennen die Argumente mit dem Streikverbot oder dem besonderen Dienstverhältnis, das für Beamte gilt. Aber rechtfertigt das eine derart gravierende Lücke in der Altersversorgung? Kann man das den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land noch vermitteln? Wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass es in Deutschland nicht gerecht zugeht?

Die Lösung wäre nicht einfach, aber machbar: Alle Erwerbstätigen zahlen in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Jeder darf – wenn es finanziell möglich ist – zusätzlich privat vorsorgen. Dieser Wandel ist nicht über Nacht möglich, sondern nur in einem langen Übergangsprozess. Angesichts der zu erwartenden Einschnitte bei der gesetzlichen Rente in den kommenden Jahren ist dieser Schritt jedoch nötig. Um weitere Ungerechtigkeiten zu verhindern.

4. „Mütterrente“: Dein Kind ist mehr wert als meins

Ebenso schwer nachzuvollziehen: Wenn Ihr Kind nach dem Jahr 1991 geboren wurde, erhalten Sie dafür von der Rentenversicherung drei sogenannte Entgeltpunkte. Diese werden später für Ihre Altersrente berücksichtigt und bewirken eine höhere Rente. Wenn Sie schon etwas älter sind und Ihr Kind demzufolge bereits früher auf die Welt gekommen ist, gibt es weniger Geld.

Um das Gesamtbild korrekt wiederzugeben, müssen wir festhalten, dass die Bundesregierung in dieser Sache bereits tätig geworden ist. Denn bis 2014 bekamen Mütter (oder Väter, wenn diese hauptsächlich für die Erziehung zuständig waren) lediglich einen Entgeltpunkt pro Kind gutgeschrieben. Seitdem erfolgte eine Anpassung, so dass es für vor 1992 geborene Kinder nun 2,5 Punkte für die Rente gibt.

Immerhin. Aber immer noch nicht gerecht. Für jedes Kind sollte es drei Entgeltpunkt für die Rente geben. Unabhängig vom Geburtsjahr.

5. Hilflos zwischen den Stühlen: Wenn Sozialbehörden die Versicherten nicht haben wollen

Im Gegensatz zu den ersten vier Ungerechtigkeiten liegt die Wurzel des Übels beim vorliegenden Fall nicht im Gesetz. Wer jedoch schon einmal längere Zeit krank war und von Krankengeld leben musste, kann unter Umständen einiges erzählen. Von Krankenkassen, die sich alles Erdenkliche einfallen lassen, um das teure Krankengeld einzusparen. Von penetranten Anrufen der Versicherung, die den Betroffenen auch psychisch arg zu schaffen machen. Oder von Mitarbeitern der Arbeitsagentur, die nichts von einem Anspruch auf Arbeitslosengeld wissen wollen.

Gesetzlich sind diese Fälle im Sinne der Versicherten geregelt, das Problem sind die Sozialbehörden. Unter dem Diktat des Sparens wird getrickst, Informationen vorenthalten und bei einigen Betroffenen regelrechtes Mobbing betrieben.

Wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind, gibt es daher zurzeit nur einen Weg: Lassen Sie sich nichts gefallen. Holen Sie sich Unterstützung. Zum Beispiel im Rahmen unserer Sozialberatung.

Fazit

Allerorts spricht man in Deutschland von wachsender Politikverdrossenheit. Auch wir müssen konstatieren, dass viele Bürgerinnen und Bürger in unserer Sozialberatung ganz offen ihren Unmut kundtun. Unzufriedenheit aufgrund von teils eklatanter Ungerechtigkeit innerhalb des Sozialwesens. Teilweise entspringt dieses Gefühl fest verankerten Kuriositäten, welche von den Menschen nicht verstanden werden. Nachvollziehbar. Wie ist es schlüssig zu erklären, dass bei gesetzlichen Verbesserungen große Teile der Bevölkerung ausgenommen werden? Etwa bei der Erwerbsminderungsrente.

Die Politik ist gefordert, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Die Maßnahmen dazu liegen auf dem Tisch.

Der Sozialverband Deutschland hilft in sozialen Angelegenheiten. Wir vertreten unsere Mitglieder bis zum Sozialgericht, unter anderem bei Auseinandersetzungen rund um das Thema Rente und Behinderung.

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Kommentare (4)

  • user
    Gurdula Hans Hermuta Schwarz
    am 05.06.2023

    lolllllllllll sehe ich halt auch so Brigitte.

    sheesh

  • user
    Petra Kottwitz
    am 29.11.2019

    Schon vor eineinhalb Jahren erschien hier ein Bericht von mir zum Thema Benachteiligung bei der Anpassung der EM-Rente bei Bestandsrentnern und habe den SoVD auch gebeten dieses doch mal groß Publik zu machen und wie bei den Mieten auch etwas dagegen zu unternehmen! Es hat sich keiner freiwillig in die EM Rente begeben und es kann doch nicht sein das man zusätzlich zu den gesundheitlichen Problemen auch noch finanziell ins Abseits gedrängt wird und das nach 38 Beitragsjahren in meinem Fall ! Es wird Zeit das die Bestandsrentner und die zukünftigen Rentner gleich behandelt werden und alle die gleichen Anrechenzeiten bekommen !!! Ich hoffe es wird sehr schnell zur Gleichbehandlung kommt und sich der SoVD sich für alle Betroffenen stark macht !!! Gruss Petra

  • user
    Henke Brigitte
    am 09.11.2019

    Ich habe als Pflegemutter viele Jahre Kinder erzogen.Einige waren 13 Jahre bei uns.Und jetzt bekommen die Mütter die sich um ihre Kinder nicht gekümmert haben die Rentenpunkte und ich nix.Das ist sehr ungerecht.Wenn man die Punkte wenigstens teilen würde.Aber so ist es sehr sehr ungerecht.

  • user
    STEPHANIE WALTER
    am 08.11.2019

    Danke fuer die Info, stecke selber in der Sackgasse u. der VDK hat mir regelrechten Schaden zugefuegt. Bin ueberrascht wie offen wenigstens Ihr Verband ueber die Situation in Grundsicherung,Erwerbsunfaehigkeit schreibt.

    Herzlichen Dank!

    Gruss Stephanie Walter

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