Noch immer sind Patient*innen bei Behandlungsfehlern rechtlich nur unzureichend geschützt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten des Rechtsmediziners Thomas Gutmann, das der SoVD in Auftrag gegeben hatte. Bei der Präsentation der Ergebnisse im Rahmen einer Konferenz im Bundespressehaus in Berlin forderte SoVD-Präsident Adolf Bauer eine umfassende Reform des Patientenrechtegesetzes. Dazu stellte der SoVD die entsprechenden Handlungsrichtlinien vor.
Schon fast zehn Jahre ist es her, dass in Deutschland erstmals ein Patientenrechtegesetz eingeführt worden ist – 2013 war dies ein großer Schritt. Doch es gibt immer noch erhebliche Umsetzungsprobleme. Patient*innen, die einen Behandlungsfehler vermuten, stehen vor großen Hindernissen, wenn sie ihre Rechte durchsetzen möchten. Oft kommen Betroffene dabei sehr schlecht weg.
In rund jedem vierten gemeldeten Fall bestätigten im Jahr 2020 Gutachter*innen der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste einen vermuteten Behandlungsfehler. Die tatsächliche Anzahl an Behandlungsfehlern ist allerdings unbekannt, die Dunkelziffer hoch.
Viele Patient*innen wissen nicht um Behandlungsfehler
„Viele Patient*innen wissen gar nicht, dass sie Opfer eines Behandlungsfehlers sind. Dies ist nicht nur auf das erhebliche Wissensgefälle um das Behandlungsgeschehen zurückzuführen, sondern auch auf die Widrigkeiten bei der Aufklärung“, machte SoVD-Präsident Adolf Bauer bei der Vorstellung des Gutachtens deutlich.
Der Gesetzgeber sei „an wichtigen Stellen auf halbem Weg stehen geblieben“, bilanzierte Prof. Dr. Thomas Gutmann, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, vor zahlreichen Pressevertreter*innen. So zeige die Erfahrung der vergangenen Jahre, dass aufgrund des strengen Beweismaßes [d. h. Grad der Überzeugung des Gerichts] Klagen wegen eines Behandlungsfehlers oftmals auch dann abgewiesen würden, wenn ein Fehler mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung geführt habe. Selbst Richter*innen kritisierten, dass Arzthaftungsprozesse hierdurch in hohem Maße dem Zufall überlassen blieben, führte der Medizinrechtsexperte, der das Gutachten im Auftrag des SoVD erstellt hatte, weiter aus.
Vollständiges Einsichtsrecht in die eigene Patientenakte
Gutmann plädiert deshalb unter anderem dafür, den Anspruch von Patient*innen bereits dann anzuerkennen , wenn „der Grund für die Haftung überwiegend wahrscheinlich ist“.
Deutlichen Verbesserungbedarf sieht er auch beim vollständigen Einsichtsrecht von Patient*innen in die sie selbst betreffende Patientenakte.
Deutschland fehle ein zentrales Meldesystem, um Behandlungsfehler verlässlich und vollständig zu erfassen, kritisierte Gutmann weiter. Es sei erheblich, Fehler systematisch auszuwerten, um daraus für die Zukunft Vermeidungsstrategien abzuleiten. Eine Meldepflicht für schwerwiegende Schäden sei hierzu unerlässlich.
„Wir möchten mit diesem Gutachten nicht nur den notwendigen Handlungsbedarf zur Stärkung und Weiterentwicklung der Patientenrechte aufzeigen. Wir wollen eine Reform des Patientenrechtegesetzes in Gang bringen. Dem Gesetzgeber geben wir mit unseren Forderungen konkrete Empfehlungen an die Hand“, zeigte SoVD-Präsident Adolf Bauer den sozialpolitischen Hintergrund des Gutachtens auf. Vor allem gelte es, die Interessen von Patient*innen, chronisch Kranken und Pflegebedürftigen sowie Menschen mit Behinderungen fortan stärker zu berücksichtigen und sie in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. „Letztlich muss die Patientensicherheit im Ganzen verbessert werden, um einen wirklich wirksamen Schutz vor Behandlungsfehlern zu erreichen“, so der SoVD-Präsident.
Forderungspapier mit vier zentralen Themenbereichen
Das in der Konferenz vorgelegte Forderungspapier umfasst vier Themenbereiche, nämlich: die Stärkung der individuellen Patient*innenrechte wie auch der kollektiven Patienten- und Pflegebetroffenenrechte, eine bessere Unterstützung von Versicherten durch ihre Kranken- und Pflegekassen und die Verbesserung der Patient*innensicherheit als Ganzes.
Zur Verbesserung der individuellen Rechte fordert der SoVD, das Beweismaß für den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden zu verringern.
Der Verband macht sich außerdem dafür stark, dass es auch ohne Nachfrage zur Pflicht wird, über Behandlungsfehler zu informieren. Verpflichtend werden sollte aus Sicht des SoVD zudem die schriftliche Bestätigung der Vollständigkeit bereitgestellter Unterlagen. Bei Verstößen sind per Gesetz wirkungsvolle Sanktionen einzuführen.
Kassen sollten zur Information verpflichtet sein
In den Augen des SoVD müssen die gesetzlichen Kranken-und Pflegekassen verpflichtet werden, ihre Versicherten bei der Verfolgung von – aus Behandlungsfehlern entstandenen – Schadensersatzansprüchen zu unterstützen. Bei offensichtlichen Anhaltspunkten für Behandlungsfehler müsse es überdies Pflicht der Kassen werden, die Betroffenen zu informieren.
Der SoVD fordert, dass die Auswahl an Unterstützungsleistungen durch die Kranken- und Pflegekassen sozialgerichtlich überprüfbar sein muss.
Auch die gemeinsamen Rechte von Patient*innen und Pflegebetroffenen gilt es zu stärken. Dazu ist nach Meinung des SoVD notwendig, die Verfahrensrechte für die in den Gremien des Gesundheitswesens vertretenen Organisationen zu erweitern. Denn diese sprechen schließlich im Interesse der Patient*innen sowie chronisch kranken, pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Um die Interessensvertretungen zu stärken, sind wiederum zusätzliche Unterstützungsstrukturen sowie eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung notwendig.
Schließlich empfiehlt der SoVD, eine bundesweit angelegte, öffentliche Kampagne zu starten, um für das wichtige Thema Patientensicherheit zu sensibilisieren. Veronica Sina
Alle Ergebnisse und Informationen rund um das Gutachten finden Sie auf einer Themenseite aufbereitet unter: www.sovd.de/gutachten-patientenrechte.
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