„Das kann doch kein Mensch nachvollziehen!“
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Ina S. litt in ihrer Kindheit an einem Hirntumor. Durch die Nebenwirkungen diverser Operationen kämpft sie heute unter anderem mit epileptischen Anfällen und kognitiven Problemen. Jetzt will ihre Krankenkasse die Taxifahrten zur Narbentherapie nicht mehr bezahlen.
„Das kann doch kein Mensch nachvollziehen!“, sagt die 43-Jährige aus dem Kieler Umland. Jahrelang hat die Krankenkasse meine Taxifahrten finanziert. Und jetzt plötzlich heißt es: Das geht nicht mehr. Wir können doch nicht 700 Euro im Monat selbst bezahlen!“
Aber der Reihe nach: Die gesundheitliche Situation des SoVD-Mitglieds macht eine besondere Form der Physiotherapie erforderlich. Neben der gängigen Drainage erhält Ina S. unter anderem eine sogenannte Narbentherapie. „Ohne die wären meine Kopfschmerzen so schlimm, dass ich gar nichts mehr machen könnte. Und die Narbentherapie wird eben auch nicht überall angeboten.“
Deswegen der lange Fahrtweg von rund 15 Kilometern. Ina S. würde mit dem Bus fahren – doch aufgrund der kognitiven Schwierigkeiten ist das nicht möglich. „Allein die Lautstärke im Bus stellt für mich eine Herausforderung dar. Wenn ich dann am Kieler Hauptbahnhof umsteigen muss, bekomme ich das nicht hin. Deswegen komme ich nur mit dem Taxi zur Physiotherapie.“
In den letzten Jahren bezahlte die Krankenkasse diese Fahrtkosten anstandslos. Auch die besondere Narbentherapie wird von der Kasse übernommen. Doch seit Ende 2022 werden Taxifahrten in ihrem Fall nicht mehr erstattet. Auf Nachfrage heißt es, dass dies schon seit 2004 nicht vorgesehen sei. Die bisherige Vorgehensweise? Ein Fehler. Nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen könnten die Kosten übernommen werden – etwa bei einem Pflegegrad von mindestens 3 oder den Merkzeichen „aG“, „Bl“ oder „H“ im Schwerbehindertenausweis. Doch die hat Ina S. nicht.
Nun hat der SoVD eine Klage am Sozialgericht gegen die Krankenkasse eingereicht – inklusive einem neuropsychologischen Gutachten des UKSH. Auch hierin heißt es, dass Ina S. aus gesundheitlichen Gründen nicht mit dem ÖPNV fahren könne. Bisher bleibt die Krankenkasse hart. Ina S. gibt sich kämpferisch: „Wir wollen ja keine Almosen. Ich brauche diese Therapie. Und anders als mit dem Taxi komme ich dort nicht hin. Für genau solche Fälle ist die Krankenkasse doch eigentlich da, oder?“
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Kommentare (4)
Klaus Konradowski
am 01.08.2023In derartigen Fällen beantrage ich für meine Mandanten sofort eine einstweilige Anordnung gleichzeitig mit der Klage; denn was nützt eine Urteilsfindung nach ca. 2 Jahren, wenn die Person quasi mittellos ist.
MfG
Klaus Konradowski
Krankenkassenbetriebswirt und Rentenberatung zugelassen nach § 10 Absatz 1 Nr. 2 RDG.
Karl Köster
am 31.07.2023Warum hat Ina S. nicht Pflegegeld oder den Schwerbehindertenausweis beantragt? Die Krankenkasse darf Fahrtkosten zu einer ambulanten Behandlung nach dem SGB leider nicht übernehmen. Das ist Fakt!
Christian Schultz
am 31.07.2023Doch, es gibt Ausnahmemöglichkeiten. Aber die erkannt die Kasse in diesem Fall nicht an. Die entsprechenden Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, die hierfür nötig wären, liegen leider nicht vor. Einen SB-Ausweis hat Ina S. natürlich.
Monika Abele
am 02.08.2023Das war bei mir auch so. Ich bin im ca. 150 km entfernten UKE in Behandlung. Die Krankenkasse hat abgelehnt,da die Bedingungen nicht da waren. Wir haben es dann über das Sozialamt versucht. Zunächst abgelehnt hat der SoVD es dann doch geschafft,das die Fahrkosten übernommen werden. Zumindest für privaten PKW. Mittlerweile habe ich aber auch die Zusatzbedingungen und darf mit dem Taxi fahren,was jetzt eine unwahrscheinliche Erleichterung ist! Man könnte es vielleicht auch über eine Stiftung versuchen,die für solche Fälle eventuell auch aufkommen.
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