„Der Gesetzgeber hat Angst vor einer Überversorgung“
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Jörg Rödiger aus Eutin bekam Erwerbsminderungsrente, als er im Rahmen seines Ehrenamtes stürzte. Heute bezieht er aufgrund dieses Vorfalls zwar eine kleine Unfallrente – diese wird jedoch mit seiner gesetzlichen Rente verrechnet. Dagegen setzt sich der 67-Jährige zur Wehr.
Vor vier Jahren, im Juni 2017, besichtigt Jörg Rödiger als Mitglied des Stadtentwicklungsausschusses ein Grundstück in Eutin. Plötzlich bleibt er im Boden hängen, sein Oberkörper verdreht sich unglücklich – und er stürzt. So schwer, dass ein Krankenwagen gerufen werden muss. Erst nach 30 Minuten sind die Sanitäter vor Ort, sie haben keine Schmerzmittel dabei.
Jörg Rödiger kommt in die Klinik, wird zweimal operiert. Nach der Versteifung der Wirbelsäule und dem Einsatz eines künstlichen Lendenwirbels sind die Schmerzen so groß, dass der Erwerbsminderungsrentner eine ganze Zeit lang sediert werden muss. „In dieser Zeit hätte mich die Stadt Eutin betreuten müssen, aber niemand fühlte sich zuständig. Dabei waren bei dem Unfall viele Leute vor Ort und haben gesehen, was passiert ist.“
In die gleiche Kerbe schlägt auch Alexander Jankowsky, Jurist für den Sozialverband Schleswig-Holstein am Standort Eutin: „Die Stadt hätte durch die Gremienbetreuung dafür Sorge tragen müssen, dass Herr Rödiger unterstützt wird. Zum Beispiel bei der Beantragung von Versicherungsleistungen. Dass das nicht erfolgt ist, war für den weiteren Verlauf der Geschichte sehr von Nachteil.“
Allerdings. Allein die Auseinandersetzung mit der Unfallkasse zieht sich über mehrere Jahre hin. Erst 2020 wird eine Rente bewilligt – ein niedriger dreistelliger Betrag. Doch hier folgt das nächste Problem: Da Jörg Rödiger eine gesetzliche Rente bezieht, werden beide Zahlungen miteinander verrechnet. Eine erheblche Einbuße für den gebürtigen Mainzer. Seinen unfallbedingten Mehraufwand kann er zudem noch nicht einmal steuerlich geltend machen.
„Aufgrund meiner gesundheitlichen Probleme kann ich viele Dinge nicht mehr selbst ausführen. Es geht körperlich einfach nicht. Vor diesem Hintergrund bleibt von dem Geld am Monatsende nichts übrig. Es ist schwer, über die Runden zu kommen.“
Jörg Rödiger würde einen dreistelligen Betrag mehr im Monat bekommen – wenn es diese Verrechnung der beiden Renten nicht gäbe. Doch die Zahlungen der Unfallkasse und der Deutschen Rentenversicherung werden auf Basis eines komplizierten Schlüssels gegeneinander aufgerechnet.
Für den Betroffenen unverständlich. Und auch Alexander Jankowsky vom SoVD kann über die Regelung von anno dazumal nur mit dem Kopf schütteln. „Der Gesetzgeber hat einfach Angst vor einer Überversorgung, das ist die grundsätzliche falsche Vorstellung in der Politik. Als ob jemand, der jetzt im Rollstuhl sitzen muss, mit 100 Euro im Monat besser dran wäre als vor dem Verlust seiner Gehfähigkeit. Eine völlig abstruse Vorstellung, aber das ist der Hintergrund.“
Im Jahr 2019 erreichte Jörg Rödiger die sogenannte Regelaltersgrenze der Deutschen Rentenversicherung – seine Erwerbsminderungsrente wurde daher in eine Altersrente umgewandelt. Die Höhe der Zahlung hat sich nicht verändert, dennoch macht dieser Umstand einen großen Unterschied aus.
„Da ich zum Zeitpunkt meines Unfalls schon berentet war, würde eigentlich eine Ausnahme gelten. Ich könnte also Erwerbsminderungs- und Unfallrente jeweils in voller Höhe beziehen. Da ich nun aber eine andere Rente, die Altersrente, erhalte, gilt diese Ausnahme nicht mehr. Das ist doch völlig unverständlich.“
„Sozialrechtlich kann man gegen die Verrechnung leider nicht vorgehen“, so Alexander Jankowsky vom Sozialverband. Das Vorgehen der Rentenversicherung sei formal korrekt. „Aber natürlich hoffen wir, dass diese ungerechte Regelung seitens der Politik gekippt wird. Warten wir mal ab, was die neue Bundesregierung nun plant.“
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