Wie erleben Sie persönlich im Alltag Barrieren? An welchen Orten? In welchen Situationen? Wie gehen Sie damit um?
Barrieren sind ein alltäglicher Begleiter. Manchmal bin ich als Betroffener so sehr an sie gewöhnt, dass sie erst einmal gar nicht als solche auffallen. Es gibt kleine und es gibt große Barrieren. Das reicht von fehlenden oder falschen Lautsprecher-Ansagen an Bahnhöfen und in U-Bahnen, über fehlende Beschriftungen von Bildern und Schaltflächen im Internet bis zu den Barrieren in den Köpfen. Bei Letzteren versuche ich zu informieren und einen Umdenkprozess einzuleiten.
„Viele Vorurteile beruhen auf Unwissenheit“
Häufig beruhen Vorurteile und Fehlverhalten sehender Menschen auf Unwissenheit. Da kann ein offenes Gespräch Wunder wirken. Schwieriger wird es bei struktureller Diskriminierung, die es gegenüber Menschen mit Behinderung auch gibt, die aber viel zu wenig thematisiert wird. Bei baulichen oder sonstigen Barrieren reagiere ich, indem ich auf die Probleme aufmerksam mache und Forderungen stelle, sei es im Rahmen der BSVH-Öffentlichkeitsarbeit und -Interessenvertretung oder auch mal mit einem pointierten Twitter- oder Facebook-Post.
Sie selbst leben und arbeiten in Hamburg. Was sind die größten Errungenschaften beim Abbau von Barrieren, die wir in Norddeutschland in den letzten Jahren gesehen haben?
Insgesamt beobachte ich eine größere Offenheit für die Themen Barrierefreiheit und Inklusion. Hier hat die UN-Behindertenrechtskonvention schon einiges bewegt. Es wird für Politik, Verwaltung und Stadtplaner immer selbstverständlicher, dass Menschen mit Behinderung und ihre Organisationen bei neuen Projekten beteiligt werden müssen. Hier müssen wir nur immer wachsam sein, dass dies nicht nur pro forma geschieht, sondern auch wirklich zu mehr Barrierefreiheit führt.
Tendenziell positiv ist auch die Zunahme an barrierefreien Angeboten in den öffentlich-rechtlichen Medien, in unserem Fall beim NDR. Hier gibt es inzwischen deutlich mehr Sendungen mit Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen – Bildbeschreibungen im zweiten Tonkanal -, wenngleich auch hier noch Luft nach oben ist.
Wenn Sie eine Rangliste von Maßnahmen entwickeln müssten, die für Menschen mit Behinderung von großer Bedeutung sind – was wären die drei wichtigsten Themen, die Sie angehen würden?
Es gibt keine drei Themen oder eine Rangliste an Maßnahmen, die wichtiger sind als andere. Eine inklusive Gesellschaft kann nur ganzheitlich entstehen, nicht punktuell. Wir setzen uns für eine gleichberechtigte Teilhabe auf allen gesellschaftlichen und baulichen Ebenen ein. Wenn wir in einer barrierefreien, inklusiven Gesellschaft leben, in der alle Menschen gleichberechtigt an allen Facetten der Gesellschaft teilhaben, sind die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention erreicht.
Wenn ich aber drei Themen nennen soll, die mich sehr beschäftigen, dann sind das: erstens die Weiterentwicklung von Nachteilsausgleichen, so fordern wir die Einführung eines Taubblindengeldes und eines Sehbehindertengeldes für Hamburg. Zweitens ist die Teilhabe am Arbeitsleben ganz zentral für mehr Inklusion. Es ist wirklich ein Skandal und ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft, dass nicht einmal 30 Prozent der blinden Menschen im erwerbsfähigen Alter einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
Forderung: Sehbehindertengeld für Hamburg
Und drittens möchte ich die Sicherheit im Straßenverkehr nennen. Hier sind zum einen Mischverkehrsflächen – Bereiche, die von Autos, Fahrrädern und Fußgängern gemeinsam genutzt werden – eine große Gefahr für blinde und sehbehinderte Menschen. Zum anderen ist die zunehmende Elektromobilität ein Problem, da die E-Autos häufig für uns nicht hörbar sind. Daher fordern wir, dass alle E-Autos ein Akustiksignal erhalten, damit wir uns auch in Zukunft sicher im öffentlichen Raum bewegen können – eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.
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