1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs
Der Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung sieht im Kern vor, dass die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (Minijob) nicht mehr durch einen statischen Wert, sondern dynamisch ausgestaltet werden soll. Die Obergrenze orientiert sich dabei an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zum gesetzlichen Mindestlohn. Mit Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns ab dem 1. Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde wird die Minijobgrenze somit auf 520 Euro festgesetzt.
Außerdem sieht der Gesetzentwurf eine Ausweitung der sogenannten Midijobgrenze von derzeit 1.300 Euro auf 1.600 Euro sowie eine Neuregelung zur Entlastung der Beschäftigten im Übergangsbereich vor, mit der die Höhe der Sozialabgaben für die Beschäftigten zunächst niedriger ausfällt und dann linear bis zum Erreichen der Midijob-Obergrenze von 1.600 Euro ansteigt. Mit dem Gesetzentwurf werden des Weiteren Folgeanpassungen und Übergangsregelungen, die sich aufgrund der Neuregelung ergeben, sowie Nachbesserungen bei der Dokumentationspflicht der Arbeitszeit und zur Eindämmung von Missbrauch vorgenommen.
2 Gesamtbewertung
Der SoVD kritisiert die geplante dynamisierte Anpassung der Miniob-Ober-grenze in Abhängigkeit von der Höhe des Mindestlohns und die damit zum 1.Oktober 2022 erfolgende Ausweitung der Miniobgrenze von 450 Euro auf520 Euro als Schritt in die falsche Richtung. Das Gebot der Stunde ist nicht erst seit der Corona-Pandemie die Sozialversicherungspficht ab dem ersten Euro. Denn gerade in der Krise hat sich mehr als deutlich gezeigt, wie wichtig sozial abgesicherte Jobs sind. Gerade das Kurzarbeitergeld, aber auch das Arbeitslosengeld und später die Rente, hängen davon ab. Mit dieser Einschätzung ist der SoVD nicht alleine:
„Unsichere Arbeitsverhältnisse, schlechte Bezahlung und keine soziale Absicherung: Eine Reform der Miniobs ist überfällig.“ (Arbeitnehmerkammer Bremen)
„Gerade in einer Rezession wie derzeit werden MiniobberInnen schnell vor die Tür gesetzt. Doch auch unabhängig davon ist eine Reform der Mini-jobs überfällig. Der Bereich der geringfügigen Beschäftigung ist in den vergangenen Jahren sehr groß geworden, und gleichzeitig hat sich oftmals die Hofnung, Miniobs könnten eine Brücke in normale sozialversicherungs-pfichtige Jobs sein, nicht erfüllt. " (Markus M. Grabka, DIW)
„Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse verdeutlichen die Vorteile einer beherzten Reform des Sozialabgabensystems, die den Sonderstatus der Miniobs aufhebt (…)“ (Studie der Bertelsmann Stiftung „Raus aus der Miniobfalle“)
„Die gegenwärtige Miniobstrategie muss aus der Perspektive der Geschlechtergleichstellung als desaströs bezeichnet werden.“ (Erster Gleichstellungsbericht der Bundesregierung)
Trotz zahlreicher einheitlicher Einschätzungen was die negativen Auswirkungen von Minijobs angeht – die im Übrigen auch im Koalitionsvertrag und in dem Referentenentwurf durchklingen – wird mit dem vorliegenden Referentenentwurf eine Ausweitung der Minijob-Obergrenze beschlossen, die zudem auch noch dynamisch an die Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns gekoppelt wird. Individuell betrachtet mag ein Minijob und zusätzlich die Kopplung an den Mindestlohn für einzelne Personengruppen eine geeignete Beschäftigungsform sein, z. B. für Rentner*innen, die ihre geringe Rente aufbessern müssen, Studierende, die damit ihr Studium finanzieren oder für Unternehmen, die damit Auftragsspitzen abfedern.
Allerdings sind unter den ca. 7 Millionen Minijob-Beschäftigten nicht nur diese Personengruppen, sondern auch viele, die damit ihr Haupteinkommen bestreiten, oft mit mehreren Minijobs parallel oder die ihr Einkommen in einem Nebenerwerb aufbessern. Beschäftigte im Minijob zahlen keinerlei Sozialabgaben (wenn aus der Rentenversicherung rausoptiert wurde) und erwerben damit auch keine (ausreichenden) Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung.
Unter den sieben Millionen Minijobber*innen sind außerdem mehr als zwei Drittel Frauen. Mit diesen sozial nicht abgesicherten Jobs kann keine eigenständige Existenzsicherung aufgebaut werden – weder im Erwerbsleben noch im Alter. Statt der angekündigten Brückenfunktion in den ersten Arbeitsmarkt hat der Minijob gerade für Frauen eine Klebefunktion entwickelt, insbesondere für verheiratete. Ihre durchschnittlich lange Verweildauer im Minijob führt zu persönlicher Altersarmut und zur Abhängigkeit vom Ehepartner oder von der Grundsicherung.
Besonders in der Corona-Pandemie hat sich der fehlende Sozialversicherungsschutz in zahlreichen Jobverlusten geäußert. Im Juni 2020 gab es laut einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)5 einen Rückgang bei den Minijobs von 12 Prozent gegenüber einem Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von nur 0,2 Prozent. Das sei unter anderem mit dem Kurzarbeitergeld zu erklären, auf das Minijob-Beschäftigte keinen Anspruch haben, aber auch mit der Tatsache, dass Minijobs häufig befristet und ohne Arbeitsvertrag ausgeführt werden.
Die Ausweitung der Minijobs wirkt sich auch negativ auf die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme aus, da diesen Beiträge verloren gehen. Im Umkehrschluss sind dann wiederum mehr Steuern nötig zur Finanzierung der Fürsorgesysteme, auf die Minijobber*innen bei Jobverlust oder später in der Rente aufgrund fehlender Beiträge in die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung angewiesen sind. Einmal ganz davon abgesehen, dass dem Arbeitsmarkt Fachkräfte verloren gehen. Denn Beschäftigte haben im Betrieb deutlich seltener eine Weiterbildungsmöglichkeit als abhängig Beschäftigte.
Auch wenn die Kopplung des Minijobs an die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns individuell und kurzfristig betrachtet charmant klingen mag, ist es zusammenfassend aus sozial-, gleichstellungs- und wirtschaftspolitischer Perspektive falsch.
Verschiedene Untersuchungen deuten außerdem darauf hin, dass Arbeit-nehmer*innen-Rechte von Minijobbenden häufig umgangen werden; dazu zählen z. B. die Entgeltfortzahlung im Krankheits- und im Urlaubsfall, die allzu oft nichtgewährt wird. Außerdem wird im Minijob der gesetzliche Mindestlohn schnell übergangen. Insofern begrüßt der SoVD die im Gesetzentwurf geplante Nachbesserung bei der Dokumentationspflicht der Arbeitszeit. Diese wird dafür sorgen, dass vereinbarte Arbeitszeiten eingehalten und vor allem auch entlohnt werden.
Bei der Anhebung der Midijob-Grenze ist aus Sicht des SoVD festzuhalten, dass Midijobber*innen zwar bei der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen teilweise entlastet werden, ohne dass dies ihre spätere Rente schmälert; das ist gut für das Einkommen in der Erwerbsphase, aber schützt die Midijobber*innen aufgrund des doch noch recht niedrigen Einkommens letztendlich nicht vor der Gefahr von Altersarmut.
Fortsetzung zu den einzelnen Regelungen im PDF
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