1 Zusammenfassung des Gesetzesentwurfs
Mit dem neuen Bürgergeld soll das Arbeitslosengeld II grundsätzlich reformiert werden. Dabei stellt der Gesetzentwurf darauf ab, erwerbsfähige Leistungsberechtigte auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt wieder stärker zu fördern. Der Vermittlungsvorrang soll aufgeweicht und gleichzeitig sollen Aus- und Weiterbildungsangebote deutlich verbessert werden. Die Zusammenarbeit mit den Jobcentern soll künftig wieder verstärkt auf Augenhöhe stattfinden. Daher ist geplant, dass die Eingliederungsvereinbarung als ehemals rechtsverbindlicher Vertrag durch einen Kooperationsplan abgelöst wird, den die Integrationsfachkraft gemeinsam mit dem*der Leistungsberechtigten erarbeitet. Der Kooperationsplan soll eine Potenzialanalyse enthalten, die neben den Fähigkeiten und Qualifikationen auch auf Stärken und sonstige Soft Skills abzielt. Im Kooperationsplan soll das Eingliederungsziel und der Weg dorthin (samt Mitwirkungspflichten) festgehalten werden. Es soll eine Vertrauenszeit in den ersten sechs Monaten des Leistungsbezugs eingeführt werden, in der Leistungsminderungen aufgrund von Pflichtverletzungen ausgeschlossen sein sollen. Wiederholte Meldeversäumnisse können auch während der Vertrauenszeit mit Sanktionen gerügt werden. Im Konfliktfall ist ein Schlichtungsverfahren vorgesehen.
Damit sich Leistungsberechtigte besser darauf konzentrieren können, einen Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu finden, soll eine Karenzzeit beim Vermögen und bei den Kosten der Unterkunft und Heizung eingeführt werden. Sofern der*die Antrag-stellende erklärt, nicht über erhebliches Vermögen zu verfügen, wird dieses in den ersten beiden Bezugsjahren bei der Bedürftigkeitsprüfung nicht berücksichtigt. Danach gelten für Bürgergeld-Beziehende höhere Schonvermögensgrenzen als bisher (15.000 Euro pro Leistungsbeziehendem), im SGB XII sind sie mit 10.000 Euro jedoch niedriger angesetzt. Die Kosten der Unterkunft und Heizung sollen ebenfalls in den ersten beiden Jahren nicht auf ihre Angemessenheit geprüft werden, sondern vollständig in tatsächlicher Höhe anerkannt werden. Die Freibetragsgrenzen sollen neu geregelt werden. Für Schüler*innen werden die Grundabsetzbeträge beim Bürgergeld und in der Grundsicherung verändert, sodass sie künftig ihr verdientes Geld aus Ferienjobs behalten dürfen.
Außerdem werden im Gesetzentwurf die vom Bundesverfassungsgericht 2019 genannten Erfordernisse an eine Revision der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II umgesetzt. Leistungsminderungen bei Pflichtverletzungen sollen nur noch bis 30 Prozent des Regelbedarfs möglich sein – im ersten Schritt ist eine Minderung von 20 Prozent des Regelsatzes vorgesehen. Sanktionen bei Meldeversäumnissen sollen max. 10 Prozent betragen und längstens einen Monat andauern – bei Pflichtverletzungen sind es drei Monate, die der Leistungsberechtigte durch die Erfüllung der Pflichten oder eine glaubhafte Absichtserklärung verkürzen kann. Darüber hinaus soll die Zwangsverrentung befristet abgeschafft werden.
Bis zur nächsten Neuermittlung der Regelsätze soll der Fortschreibungsmechanismus angepasst werden. Die in der Vergangenheit praktizierte „Basisfortschreibung“, die anhand eines Mischindexes aus 70 Prozent der Preis- und 30 Prozent der Nettolohnentwicklung erfolgte, soll in einem zweiten Schritt durch die „ergänzende Fortschreibung“ eine aktuellere Betrachtungsweise der Preis- und Nettolohnentwicklung ermöglichen. Durch die Überarbeitung des Fortschreibungsmechanismus würde 2023 der Regelsatz für Alleinstehende von 449 auf 502 Euro steigen.
2 Gesamtbewertung
Die grundsätzliche Stoßrichtung des „Förderns“ ist aus Sicht des SoVD beim neuen Bürgergeld genau die Richtige. Das Zusammenspiel von Beschränkungen der Sanktionsmöglichkeiten, Einführung einer Vertrauenszeit, der neue Kooperationsplan als Arbeitsgrundlage zur Wiedereingliederung, ein Schlichtungsverfahren in Konfliktfällen, die Coaching-Möglichkeiten und die Aufweichung des Vermittlungsvorrangs stimmt den SoVD vorsichtig hoffnungsvoll, dass der mitunter sehr scharfe Ton und der wenig von Kooperation geprägte Umgang zwischen Integrationsfachkräften und Leistungsbeziehenden durch ein neues positives Klima des Förderns ersetzt wird.
So soll z.B. der Kooperationsplan eine Potenzialanalyse enthalten, die auch auf die Stärken und Soft Skills der Leistungsberechtigten abstellt. Der SoVD begrüßt, dass Leistungsberechtigte mit der Vertrauenszeit sechs Monate lang unmittelbar zu Beginn des Leistungsbezugs einen Vertrauensvorschuss erhalten, ohne Leistungsminderungen aufgrund von Pflichtverletzungen erwarten zu müssen.Auf diese Weise kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe erreicht und der Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II etwas abgefedert werden. Der SoVD begrüßt, dass Leistungsminderungen von Meldeversäumnissen nur für die Dauer von einem Monat erfolgen und während der Vertrauenszeit erst bei wiederholtem Verstoß Anwendung finden sollen. Bevor Sanktionen vollzogen werden, soll eine Härtefallprüfung erfolgen – eine für den SoVD positiv zu bewertende Regelung, die die Jobcenter dazu anhält, sich den Einzelfall stets genau anzusehen und so Existenznot zu vermeiden. Für aufstockende Leistungsbeziehende sollten Sanktionen aus Sicht des SoVD gänzlich entfallen.
Auch die Einführung eines Schlichtungsverfahrens hält der SoVD für einen wichtigen Schritt, um die Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten zu verbessern.Auf diese Weise kann an Lösungen gearbeitet werden, wenn die Situation zwischen Integrationsfachkraft und Leistungsbeziehendem verfahren ist.Aus Sicht des SoVD birgt die aktuelle Regelung aber die Gefahr, dass keine echte Schlichtung möglich ist. Wenn die Integrationsfachkraft den*die Kolleg*in zur Schlichtung hinzubittet, ist eine neutrale Betrachtung der Sachlage, auch im Sinne der Betroffenen, mitunter nicht immer möglich. Der SoVD fordert daher, eine unabhängige Schlichtungsstelle einzurichten.
Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass mit der Abschaffung des Vermittlungsvorrangs für Leistungsbeziehende nun die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt explizit angestrebt wird und Arbeitsuchende nicht mehr jedweden Job annehmen müssen. Der Gesetzentwurf für ein Bürgergeld-Gesetz enthält insgesamt zahlreiche Maßnahmen, die der (Fach-)Kräftesicherung dienen, vor allem im Bereich der abschlussbezogenen Weiterbildung. Diese werden wiederum durch Coachings und die Unterstützung sozialpädagogischer Fachkräfte untermauert. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) würde die akute Personalnot in der Sozialarbeit und -pädagogik mit 20.600 nicht zu besetzenden Stellen am stärksten hervorstechen. In diesem Bereich arbeiten nicht nur viele Erzieher*innen und Pädagog*innen, die die Fachkräfte von morgen heranziehen, sondern eben auch viele Kräfte, die in der Arbeitsmarktintegration tätig sind.Aus Sicht des SoVD ist es daher insgesamt – für die Erfüllung der neuen Grundsätze durch das Bürgergeld, aber auch für die Bildung, Erziehung und pädagogische Unterstützung von Kindern und Familien – unerlässlich, eine Fachkräfte-Offensive für soziale Berufe zu starten. Gleichzeitig muss aus Sicht des SoVD sichergestellt werden, dass für die Weiterbildungsförderung ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Sehr positiv bewertet der SoVD in dem Kontext auch, dass eine ganzheitliche Betreuung (Coaching) von Leistungsbeziehenden mit dem geplanten neuen Bürgergeld ermöglicht werden soll, wenn komplexe Problemlagen eine Integration in den Arbeitsmarkt erschweren.Aufsuchende Hilfen fordert der SoVD schon seit vielen Jahren. Dass das Coaching-Angebot auch über den Leistungsbezug hinaus möglich gemacht werden soll, begrüßt der SoVD ausdrücklich.Auf diese Weise kann eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt positiv begleitet werden. Sehr positiv bewertet der SoVD außerdem, dass die Eingliederungsvereinbarung durch einen Kooperationsplan abgelöst werden soll. Die Niedrigschwelligkeit des Kooperationsplans vereinfacht die Zusammenarbeit zwischen Leistungsbeziehenden und Integrationsfachkräften.
Mit dem vereinfachten Zugang zur Grundsicherung während der Corona-Pandemie wurden kurzfristig Karenzzeiten beim Vermögen und bei den Kosten der Unterkunft und Heizung geschaffen, die nun verstetigt werden sollen.Auch das begrüßt der SoVD sehr ausdrücklich.Auf diese Weise können sich Leistungsberechtigte voll und ganz– und in ihrem gewohnten Lebensraum – der Aufgabe widmen, gute Arbeit zu finden. Der aktuelle Gesetzentwurf sieht jedoch keinerlei Entlastungen für Leistungsbeziehende vor, die nicht von der Karenzregelung profitieren können, weil sie schon zu lange im Leistungsbezug sind. Für diesen Personenkreis stellt sich unter Umständen folgende Problematik: Im Jahresdurchschnitt 2021 überstiegen in rund 399.000 Bedarfsgemeinschaften (15,4 %) die tatsächlichen laufenden Kosten der Unterkunft und Heizung die anerkannten Kosten. Die durchschnittliche Differenz betrug 91 Euro. Es ist bisher unklar, wie vor dem Hintergrund der ansteigenden Nebenkosten in Zukunft mit diesen Haushalten verfahren wird: ob also die Deckelung der Wohn- und Heizkosten bis zu einem bestimmten Betrag einfach weiterhin Bestand hat und damit die Betroffenen auf den erheblichen Mehrkosten sitzen bleiben. Wir als SoVD fordern vor dem Hintergrund der Krise, dass die tatsächlich anfallenden Kosten (ohne Angemessenheitsgrenzen) für alle Leistungsberechtigten für die Dauer der Krise übernommen werden. So ist es aktuell auch für Leistungsberechtigte vorgesehen, denen die zweijährige Karenzzeit nach dem Bürgergeld-Gesetz zustehen würde. Die Übernahme der tatsächlichen Kosten würden ein kompliziertes Prüfverfahren erübrigen (denn reine monetäre Obergrenzen würden nicht ausreichen sondern es bräuchte Verbrauchsangemessenheitsgrenzen) und darüber hinaus würde das den Menschen viel Sicherheit geben.
Die Energiekrise wird eine Vielzahl von Nebenkostenabrechnungen produzieren, die die Menschen in der Grundsicherung empfindlich treffen. Diese Menschen profitieren auch nicht von der Anhebung des Schonvermögens – sie können also im Zweifel nicht auf Vermögen zurückgreifen, um ihre Rechnungen zahlen zu können. Im schlimmsten Fall kann das bedeuten, dass sie ein Darlehen aufnehmen müssen, das sie kaum in der Lage sind zurückzuzahlen. Der SoVD drängt daher darauf, dass die
beziehende in voller Höhe anerkannt werden, damit das Existenzminimum in der Grundsicherung gewahrt werden kann. Diese Problematik betrifft die Stromkosten gleichermaßen. Diese werden aktuell über die Regelsätze abgebildet. Der SoVD spricht sich dafür aus, dass diese wie die Warmmiete gesondert gewährt und damit aus dem Regelsatz herausgenommen sowie für die Dauer der Krise in tatsächlicher Höhe anerkannt werden. Heizkosten – mindestens so lange die Energiekrise anhält – für alle Leistungs
Aus Sicht des SoVD ist die Anhebung der Schonvermögensgrenzen zu begrüßen. Im SGB II soll die Grenze bei 15.000 Euro (ehemals max. ca. 10.050 Euro) und im SGB XII bei 10.000 Euro (ehemals 5.000 Euro) liegen. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum Leistungsbeziehende im SGB XII nach wie vor schlechter gestellt werden als diejenigen im SGB II. Im SGB XII soll zwar endlich ein angemessener PKW beim Schonvermögen außer Acht gelassen werden – eine langjährige Forderung des SoVD – im SGB II wird auf eine Prüfung der Angemessenheit im Gegensatz zum SGB XII jedoch verzichtet, sofern die*der Antragssteller*in bei Antragsstellung die Angemessenheit des Verkehrswertes erklärt. Gerade vor dem Hintergrund, dass Menschen im SGB XII häufig ihre Hilfebedürftigkeit nicht mehr überwinden können und gleichzeitig mit höheren Kosten im Bereich Gesundheit konfrontiert sind, ist die Ungleichbehandlung für den SoVD nicht nachvollziehbar. Es muss zu einer echten Angleichung zwischen SGB XII und SGB II kommen.
Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass mit der Wohngeld-Plus-Reform diejenigen in den Blick genommen wurden, die knapp über dem Grundsicherungsniveau liegen und die ihre Rechnungen aufgrund der gestiegenen Energiekosten und der Inflation nicht mehr zahlen können.Auch wenn mit dem Wohngeld-Plus ein deutlich größerer Anspruchberechtigtenkreis generiert und durch die Strom- und Gaspreisbremse nun weitere Entlastung geschaffen werden soll, bleibt dennoch die Problematik bestehen, dass existenzielle Ängste inzwischen bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Daran wird auch deutlich: Wir brauchen höhere Löhne und Renten, damit die sozialen Leistungssysteme nicht zum Auffangbecken des Niedriglohnsektors werden.
Trotz vieler positiver Regelungen im Gesetzentwurf möchte der SoVD auch darauf hinweisen, dass Leistungsberechtigte existenzsichernder Leistungen aktuell vor allem auch eines brauchen: Und das sind höhere Regelsätze. Zwar soll mit der überarbeiteten Fortschreibung der Regelsätze ein Instrument geschaffen werden, das eine aktuellere Betrachtungsweise der Preisentwicklung ermöglicht – und in der Folge sollen die Regelsätze in 2023 um rund 50 Euro steigen – jedoch wird die grundsätzliche Berechnung der Regelsätze nicht reformiert, die zur Wahrung des soziokulturellen Existenzminimums unabdingbar wäre. Dies wäre in Anbetracht der aktuellen Lage dringlicher denn je.
Außerdem wäre es zu begrüßen, wenn mit dem Bürgergeld Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für die Leistungsbeziehenden gezahlt würden, so wie es in der Vergangenheit für das Arbeitslosengeld II schon einmal der Fall war. Dies wäre ebenfalls ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut.
Einschätzung zu den einzelnen Regelungen im PDF.
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