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Hartz-IV-Sätze sind lebensfremd

Mitten in der Pandemie hat das Bundeskabinett eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze ab 2021 beschlossen. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren sollen davon profitieren; Kinder von 6 bis zu 13 Jahren gehen dagegen leer aus. Als lebensfern kritisieren Sozialverbände, darunter SoVD, Gewerkschaften und Opposition, das Gesetz von Bundessozialminister Hubertus Heil, das noch Bundestag und -rat passieren muss. Der Entwurf sei unter anderem ungeeignet, Kinderarmut zu begegnen.

Kinder vor einem gebrauchten Laptop
Nicht einmal ein Euro ist im Regelsatz für Kinder und Jugendliche für Bildung vorgesehen. Einen Rechner anzuschaffen, ist damit unmöglich. Foto: sakkmesterke / Adobe Stock

Monatlich sieben Euro mehr sollen Hartz-IV-Empfänger*innen ab dem kommenden Jahr erhalten. Der Satz für alleinstehende Erwachsene steigt laut Gesetzentwurf im Januar 2021 von 432 auf 439 Euro. Partner*innen in einer Bedarfsgemeinschaft beziehen voraussichtlich sechs Euro mehr.

Die größte Steigerung soll es für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren geben: Bei ihnen wird der Regelsatz um mindestens 39 Euro auf mindestens 367 Euro im Monat angehoben. Kein Euro mehr ist nach aktuellem Stand für 6- bis 13-Jährige in der Grundsicherung geplant. Armutspolitisch sei dies ein Skandal, sagen die Kritiker*innen.

Hartz-IV-Regelsätze werden alle fünf Jahre angepasst

Alle fünf Jahre, wenn eine neue sogenannte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) vorliegt, werden die Hartz-IV-Regelsätze neu festgelegt. Die EVS ist eine amtliche Statistik, bei der die Einnahmen und Ausgaben von rund 60.000 repräsentativ ausgewählten Haushalten erhoben werden. An den Ausgaben von Haushalten unterer Einkommensgruppen orientieren sich die Hartz-IV-Sätze. Grundlage für die nun geplante Anpassung sind die Daten aus den Einkommens- und Verbrauchsstichproben aus dem Jahr 2018.

Die Regelsätze werden darüber hinaus jedes Jahr entlang der Lohn- und Preisentwicklung fortgeschrieben – eine Berechnung, die zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch aussteht. Sozialverbände, Gewerkschaften, Verbraucherverbände, Grüne, Linke und Wissenschaftler*innen kritisieren das angewandte Verfahren als „nicht realitätsgerecht“.

Budget künstlich kleingerechnet

Auch der SoVD ist mit der Berechnung der Regelsätze, der die gleiche Methodik wie schon in den Jahren 2011 und 2017 zugrunde liegt, nicht einverstanden: „Leider wird die Chance vertan, die Ermittlung der Regelbedarfe auf eine solide und verfassungsgemäße Berechnungsgrundlage zu stellen“, stellt SoVD-Präsident Adolf Bauer hierzu fest. Der SoVD beanstandet vor allem methodische Mängel. Diese führten dazu, dass das soziokulturelle Existenzminimum nicht sichergestellt werde.

Ein wesentliches Manko ist es dabei aus Sicht des Verbandes, dass als Berechnungsgrundlage grundsätzlich die Konsumangaben einkommensschwacher Haushalte dienen. Gleichzeitig aber streicht der Gesetzgeber in diesen, was er nicht als regelbedarfsgerecht bewertet. So wird der Gürtel immer enger – zumal auch Kürzungen erfolgen, die nicht hinreichend begründet werden. Aus Sicht des SoVD ist es zum Beispiel wenig nachvollziehbar, warum Menschen, die Leistungen aus der Grundsicherung beziehen, keine Zimmerpflanzen haben oder ihre Haustiere nicht weiter halten dürfen.

Verdeckte Armut lässt die Regelsätze absacken

Auf das Niveau der Leistungsansprüche wirkt sich zudem nachteilig aus, dass bei den „Konsumausgaben“ auch die Angaben von Haushalten einfließen, die eigentlich einen Anspruch auf Sozialleistungen hätten, diesen aber aus Scham nicht geltend machen. Das gilt ebenso für die Angaben von Aufstocker*innen – Menschen, die trotz Arbeit auf ergänzende staatliche Hilfen angewiesen sind. „In der Summe besteht hier die Gefahr von Zirkelschlüssen“, stellt SoVD-Präsident Bauer fest. „Die Regelsätze bewirken dann letztlich nicht mehr, als bestehende Armutsverhältnisse zu dokumentieren.“

Als Beleg dafür, dass die Sätze insgesamt zu niedrig bemessen sind und Lebensrealitäten nicht widerspiegeln, führt der SoVD unter anderem das Beispiel Mobilität an. „Der Gesetzgeber ignoriert, dass ein Auto für viele Menschen Grundvoraussetzung für soziale Teilhabe ist. Das gilt insbesondere für Menschen mit Behinderungen und bei bestehenden Mobilitätseinschränkungen“, erklärt Bauer. Im ländlichen Raum, wo der öffentliche Nahverkehr ausbaufähigist, seien Betroffene oftmals ebenso auf ein Auto angewiesen.

SoVD fordert Einmalleistungen

Wie realitätsfern die Resultate des Bemessungsverfahrens sind, zeigt sich etwa auch daran, dass gerade einmal 1,67 Euro für die Anschaffung einer Waschmaschine vorgesehen sind. Man kann sich ausrechnen, wie lange Grundsicherungsbeziehende darauf sparen müssten. Der SoVD fordert deshalb die Aufnahme von Einmalleistungen, die die Jobcenter bei Bedarf direkt übernehmen.

Weil im vorliegenden Gesetzentwurf die Corona-Krise ausgeblendet ist, bekräftigt der SoVD zudem die in einem breiten Bündnis erhobene Forderung von 100 Euro pro Monat mehr für Betroffene zum Ausgleich der Mehrkosten.

Armut nimmt Kindern Chancen

Schon vor dem Kabinettsbeschluss hatte sich der SoVD angesichts einer Studie der Bertelsmann Stiftung zu fehlenden Teilhabechancen armer Kinder in die Debatte eingebracht: „Wenn rund drei Millionen Kinder in Deutschland arm aufwachsen, dann verwehren wir ihnen soziale, kulturelle und gesundheitliche Chancen“, erklärte der SoVD-Präsident. Die Ausgestaltung und Höhe der Regelsätze holten Kinder nicht aus Armutsverhältnissen heraus. Die kindliche Entwicklung entscheide aber über ihre Zukunft, so Bauer.

Um das soziokulturelle Existenzminimum solide zu sichern, plädiert der SoVD für ein transparenteres Statistikmodell, das auf normative Streichungen verzichtet. Der Verband fordert das Einsetzen einer Sachverständigenkommission, die gemeinsam mit dem Bundesarbeitsministerium die Berechnung der Regelsätze vornimmt.

SoVD bemängelt den im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf – Methodik ersetzen Hartz-IV-Sätze sind lebensfremd


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