Herr Bornhalm, Sie sind beim SoVD Schleswig-Holstein vor allem für die Sozialpolitik zuständig. Was sind zurzeit die dringendsten Probleme im Land?
Obwohl wir in einem der reichsten Länder der Welt leben, müssen wir für eine seit Jahren wachsende Bevölkerungsgruppe finanziell benachteiligter Menschen feststellen, dass sie am allgemeinen Wohlstand nicht teilnimmt. Jeder achte Schleswig-Holsteiner ist von Armut betroffen.
Prekär ist die Lage auch bei den Seniorinnen und Senioren. Inzwischen sind bereits fast 15 Prozent der älteren Menschen im ‚Land zwischen den Meeren‘ von Altersarmut betroffen. Und ihre Zahl wird vor allem aufgrund der Rentenkürzungen in den letzten Jahren erheblich größer werden.
Hart trifft es vor allem die Menschen, wenn es um eine Unterkunft – um eine angemessene und bezahlbare Wohnung geht. Die Mieten sind exorbitant gestiegen, und immer mehr Menschen haben das Nachsehen, weil sie den teuren Wohnraum nicht bezahlen können und dieser ohnehin inzwischen ganz knapp geworden ist. Im Ergebnis muss festgehalten werden, dass der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen zusammengeschrumpft und gegenwärtig praktisch bedeutungslos geworden ist.
„Die Fallpauschale ist zum Fetisch geworden“
Der Staat hat aber in den zurückliegenden Jahren auch in anderen Feldern umfänglich Verantwortung abgegeben – mit zum Teil fatalen Folgen: Im Krankenhaus ist die Fallpauschale zum Fetisch geworden. Wirtschaftliches Denken und Handeln ist inzwischen das alles dominierende Kriterium im Krankenhausalltag. Vergleichbare Entwicklungen sind im Bereich der Pflegeeinrichtungen festzustellen. Wir müssen heute auch in Schleswig-Holstein konstatieren, dass es einen Pflegenotstand gibt.
Kann sich der Sozialverband all diesen Herausforderungen stellen? Oder muss es Schwerpunkte in Ihrer Arbeit geben, um den Menschen zu helfen?
Der Sozialverband vertritt in Schleswig-Holstein rund 150.000 Mitglieder. Er ist Interessenvertreter, Unterstützer und Begleiter für viele im Land, denen es finanziell eher nicht so gut geht, die aufgrund einer Behinderung nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können oder die mit der Krankenkasse, der Rentenversicherung oder einem anderen Sozialleistungsträger hart zu kämpfen haben. Dass wir uns in der Sozialberatung individuell und gezielt ganz für die Mitglieder einsetzen, um etwas mehr soziale Gerechtigkeit im Einzelfall zu erwirken, versteht sich von selbst.
Unser Anspruch besteht aber auch darin, als Sprachrohr sozial benachteiligter Gruppen politische Forderungen und Ansprüche zu artikulieren und diese auf allen Ebenen zu vertreten. Ein Bespiel hierfür ist unsere aktuelle Volksinitiative für bezahlbaren Wohnraum.
Aber in der Tat, man kann nicht „Kämpfer an allen Fronten“ sein. Zu sehr würde man sich verzetteln und das eigene Kräftevermögen überschätzen, zu gering wären die Erfolge. Deshalb stehen gegenwärtig eingegrenzt die brennenden Fragen zum Themenkreis Armut, Wohnungsnot und Pflegenotstand wie oben erläutert im Focus des sozialpolitischen Ausschusses. Außerdem haben wir – natürlich nicht ohne Grund – ein sensibles Auge für das neue Bundesteilhabegesetz, das für Menschen mit Behinderung einen Fortschritt bringen soll. Wir wollen mit aufpassen, dass bei der Umsetzung die Reformabsichten nicht konterkariert werden und sich das ganze Unternehmen möglicherweise als ein Bürokratie-Monster erweist.
Sie kommen selbst aus der Verwaltung, haben viele Jahre das Amt für soziale Dienste in Kiel geleitet. Warum ist es so schwer, Reformen, die den Menschen helfen würden, durchzusetzen?
Die Liste der „Fortschrittsverhinderer“ ist lang: Bereits im Gesetzgebungsverfahren etwa bestehen die unterschiedlichen Verantwortungsebenen des Bundes, der Länder und Kommunen mit ihren gesetzlich definierten Rechten beharrlich auf Berücksichtigung ihrer Interessenlagen. Im Verfahren werden dann zu viele faule Kompromisse gemacht, da alle ihr spezifisches Anliegen im Ergebnis wiedererkennen wollen. Oft entwickelt sich hier bereits eine Reform zu einem „bürokratischen Klotz“. Der föderale Staat ist manchmal wirklich anstrengend!
„Fachliche Fragen spielen mitunter eine Nebenrolle“
Und in der Praxis vor Ort bestimmen etwa desolate finanzielle Rahmenbedingungen oder nicht zu leugnende unterschiedliche örtliche Interessenlagen das Geschehen. Mitunter spielen fachliche Fragen (natürlich unausgesprochen) eher eine Nebenrolle. Das alles ist für Außenstehende leider nur schwer zu erkennen, da sich der Lauf eher im Verborgenen vollzieht.
Aber noch etwas muss gesagt werden: Fortschrittsverhinderung wird auch von artikulationsmächtigen und einkommens- und vermögensstarken Gruppen in der Bevölkerung betrieben, die sehr wirkungsvoll eine völlig ungerechte Steuerpolitik für sich zu nutzen wissen.
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