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„Nur wer laut ist, wird auch gehört!“

Behinderung

Seit mehr als zehn Jahren setzt sich Ron Paustian aus Dithmarschen für Inklusion ein. Nicht durch Sonntagsreden. Nicht über schriftliche Stellungnahmen. Ron Paustian packt an und organisiert. Konzertveranstalter wenden sich an ihn, wenn sie ihre Spielstätten barrierefrei gestalten möchten. Außerdem bringt der Dithmarscher Menschen mit Behinderung und Begleitpersonen zusammen. Damit die dann gemeinsam ein Konzert besuchen können.

Wacken ohne Barrieren. Wie ein Mann aus Dithmarschen die Welt inklusiver macht

Wir wollten von Ron Paustian wissen, was ihn antreibt.

1. Was genau machst Du mit Deiner Organisation „Inklusion Muss Laut Sein?“

Inklusion Muss Laut Sein“ ist so was wie das Multifunktions-Werkzeug der Teilhabe und Inklusion. Der Schwerpunkt liegt auf der kulturellen Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Veranstaltungen aller Art. Doch wenn man hinter diesen wichtigen und prägenden Teil schaut, so entdeckt man Beratungstätigkeiten im Bereich Schule, Arbeit und Soziales. Zudem kommt der Einsatz für die Belange von Menschen mit einer Behinderung auf politischer Ebene, Öffentlichkeitsarbeit und und und. Wie gesagt, die Organisation ist ein wenig wie ein Schweizer Taschenmesser: vielfältig einsetzbar und auf allen Ebenen nutzbar.

2. Wie bist Du auf die Idee gekommen, Dich in diesem Bereich so stark zu engagieren?

Das Thema Behinderung ist aus mehreren Gründen wichtig für mich. Zum einen bin ich mit einem Onkel aufgewachsen, der eine geistige Beeinträchtigung hat, was für uns als Kinder komplett normal war und was mich wohl nachhaltig geprägt hat. Zum anderen natürlich die eigenen Einschränkungen, die mir den Besuch von Konzerten und Festivals erheblich erschwert haben.

Im Jahr 2008 kam ich auf die Idee, ein großes Festival besuchen zu wollen. Doch im Netz gab es nicht wirklich Informationen, was die Barrierefreiheit und die Teilhabe anging. Das war die Geburtsstunde des weltweit ersten Musikmagazins zum Thema Metal und Behinderung. Viele Dinge gab es erstmals in diesem Online-Magazin.

Ab 2009 hatten wir Informationen zu Locations für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte, 2011 kamen Audiospuren für Nutzer mit Sehbehinderungen und Sprachverständnis-Schwierigkeiten dazu. Ende 2011 konnte man dann erstmalig eine individuelle Schriftvergrößerung nutzen, und es gab Alternativtexte für Bilder. All das verband ich mit einem Kollegen in Tourdaten und Festivals, um kostenfrei Informationen bereitzustellen. 2015 wurde dann aus diesem Magazin eine Gemeinnützige Organisation im Rahmen von startsocial. Neben der Auszeichnung durch die Kanzlerin, wurde die Arbeit immer wieder als innovativ gewürdigt, zuletzt in Wien, als weltweites Leuchtturmprojekt. Was mich bewegt, ist einfach, dass die Gesellschaft für alle gleichwertig sein muss. Jeder sollte die gleichen Chancen erhalten, aber auch die gleichen Pflichten im Rahmen seiner Möglichkeiten.

3. Was würdest Du als größten Erfolg Deiner Arbeit bezeichnen?

Auch wenn das Projekt sehr erfolgreich ist, so sind es schon Kleinigkeiten, die wichtig sind. Mir liegen die Veränderungen für jeden Einzelnen am Herzen. Sei es nun, mit Kranken- und Pflegekassen zu streiten oder eine Begleitung zu organisieren. Im größeren Maßstab sind es Festivals, die sich über die Jahre entwickeln und begreifen, wie wichtig Teilhabe für alle Seiten ist. Der größte Erfolg wäre, wenn „Inklusion Muss Laut Sein“ nicht mehr gebraucht wird, weil wir im Bereich der Normalität angekommen sind.

4. Du setzt Dich für eine inklusive Gesellschaft ein. Wo hat es in den letzten Jahren die größten Fortschritte auf dem Weg dahin gegeben? Und wo liegen weiterhin die größten Probleme?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten, denn es gibt nicht die großen Fortschritte, wenn man nur die Zeit betrachtet, in der wir das Bundesteilhabegesetz (BTHG) haben. Schaut man auf einen längeren Zeitraum, von etwa zehn bis 15 Jahren zurück, so ist das Thema Behinderung heute viel präsenter, die Menschen trauen sich endlich rauszugehen, für ihre Rechte einzutreten und Forderungen zu stellen. Dieses ist ein guter Fortschritt, aber auch erst ein Anfang. Denn nur wer laut ist, wird auch gehört.

Die Probleme die im Moment vorherrschen, liegen in der Ungeduld und im Unwillen. Es gibt also auf beiden Seiten von Teilhabe und Inklusion  noch Probleme, die gelöst werden müssen. So sind zum Beispiel viele Bahnhöfe nicht barrierefrei, oder die Züge können ohne fremde Hilfe nicht von Rollstuhlfahrern genutzt werden. Natürlich erfasst jeder diese Probleme sofort. Dass aber nicht schlagartig alles zugänglich sein kann, wird nicht verstanden. Es bedarf einer Menge Investitionen und einiger Zeit, um bauliche Hürden zu beseitigen. Dann fehlt momentan ein schlüssiges Konzept für die Teilhabe in Schulen, denn hier fehlt es oft an der passenden Unterstützung für Lehrer, Eltern und Kindern. Auch der Arbeitsmarkt muss aufgebrochen werden, denn Werkstätten sind nicht die Allround-Lösung.

Wir stehen mit der Inklusion und Teilhabe am Anfang eines Weges, der nach und nach gestaltet werden muss. Nicht immer steckt böse Absicht oder der Wille zur Diskriminierung hinter einem Verhalten, sondern einfach Unwissenheit und Unsicherheit. Wir können gesellschaftlich nur gemeinsam einen Weg finden, durch Aufklärung, durch Beratung und durch immer wiederkehrenden Einsatz.

5. Angenommen, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther würde Dich zum „Inklusionsminister“ machen: Was würdest Du in den ersten 100 Tagen in diesem Amt anpacken?

Inklusionsminister, das wäre mal eine sinnvolle Sache. Wichtig wäre mir, dass Behindertenbeauftragte nicht nur eine beratende oder helfende Funktion haben, sondern Dinge wirklich aktiv gestalten können, dass sie die Möglichkeiten erhalten, auch Klagen zu ermöglichen und bei gesetzgebenden Verfahren einbezogen werden. Zudem müssen freie Verbände gefördert werden, wenn es um die Mitsprache geht, es sollte zudem freie Berater geben, die durch ihre eigenen Behinderungen Fachleute sind, sowohl für bauliche Maßnahmen, als auch in sozialen Dingen.

Zum Schluss sollte man vor allem den Menschen zuhören. Man sollte ihnen eine Stimme geben, gerade in der Politik, denn wer für eine Sache eingesetzt wird, sollte sich auch für diese einsetzen und versuchen, das Beste rauszuschlagen. Dieses geht nicht durch schöne Worte, sondern durch Taten.

Ich glaube, 100 Tage sind eine verdammt kurze Zeit. Aber sie würden auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben, wenn ich diesen Job machen würde, denn Veränderungen und Erneuerungen sind genau mein Ding, weg von eingefahrenen Pfaden hin zu neuen und ungewöhnlichen Ideen.

Der Sozialverband Deutschland hilft in sozialen Angelegenheiten. Wir vertreten unsere Mitglieder bis zum Sozialgericht, unter anderem bei Auseinandersetzungen rund um das Thema Rente und Behinderung.

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