1. Zusammenfassung des Antrags
Die Antragsteller*innen wollen anlässlich der Neuaufstellung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) die Beratungsstrukturen für Gesundheits- und Pflegefragen miteinander verzahnen und formulieren strukturelle, finanzielle und organisatorische Mindestvoraussetzungen für eine selbstverwaltete, von direkter Einflussnahme durch Krankenkassen, Leistungserbringende, Wirtschaft und Politik unabhängige Institution. Die UPD soll dazu insbesondere mit einem verstetigten und jährlich dynamisierten, steuerfinanzierten Finanzvolumen unter der Trägerschaft einer Patientenstiftung bürgerlichen Rechts ausgestaltet werden. Strukturell sollen die wesentlichen Entscheidungen in einem Stiftungsrat getroffen werden, in dem diejenigen Patientenorganisationen nach § 140f SGB V vertreten sind, die sich mit institutioneller Patientenberatung beschäftigen. Eine enge Kooperation mit Selbsthilfe-Organisationen soll durch Beteiligung im Kuratorium und beratender Stimme im Stiftungsrat gewährleistet werden. Im Beirat sollen Vertreter*innen aus Selbstverwaltung und Politik vertreten sein. Von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet, soll die Beratungstätigkeit fortlaufend evaluiert werden. Beratungszentren sollen einen besonderen Wert auf Vernetzung mit Public Health-Strukturen vor Ort legen.
Sukzessive bis 2027 sollen die Patientenberatung und Pflegeberatung des SGB XI zusammengeführt und um angrenzende Beratungsangebote erweitert werden. Pflegeberatungsstellen sollen steuerfinanziert und Pflegeberatung unabhängig erfolgen.
Für Menschen mit komplexem Behandlungsbedarf sollen Patientenlotsen bzw. Case Management als eigener Anspruch nach dem SGB V formuliert werden. Die Kriterien für Qualität und Unabhängigkeit legt der Stiftungsrat der Patientenstiftung fest.
2. Gesamtbewertung
Der SoVD befürwortet ausdrücklich eine Überführung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen, wie es auch in der Koalitionsvereinbarung für die 21. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages festgelegt wurde. Für einen substanziellen Neustart der Patientenberatung in Deutschland ist es jedoch unabdingbar, dies progressiv zu gestalten, um verlorengegangenes Vertrauen bei den Patient*innen wiederzugewinnen und die Patientenberatung zu stärken. Keinesfalls darf bei der Finanzierung, Organisation und Ausgestaltung auf die alten Strukturen zurückgegriffen werden, die zuletzt mit der Übernahme der Beratungstätigkeit durch den Gesundheitsdienstleister Sanvartis bestanden.
Eine rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts ist als Organisationsform geeignet. Stiftungen genießen mit ihrer Zweck- und Zielbindung sowie (vornehmlich) auf Dauer angelegten Errichtung eine hohe Glaubwürdigkeit und Beständigkeit in der Öffentlichkeit. Gemeinsam mit dem SoVD und dem Sozialverband VdK Deutschland (VdK) hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) im März 2022 einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf zur Neuaufstellung der UPD in einer Stiftung bürgerlichen Rechts vorgelegt.
Eine Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen setzt entsprechende strukturelle und organisatorische Notwendigkeiten voraus: Den beteiligten Patientenorganisationen müssen insgesamt in den Gremien der neuen Stiftung ein deutlich stärkeres Stimmgewicht gegenüber den übrigen angedachten Vertreter*innen zukommen. Sie sind die „Stimme der Patient*innen“ und als solche angemessen zu beteiligen. Dazu darf die Beteiligung von Vertreter*innen der gemeinsamen Selbstverwaltung, des Deutschen Bundestages sowie der Bundesregierung nicht die Gesamtzahl der stimmberechtigten Patientenorganisationen überschreiten, da sonst eine staatsferne Struktur nicht gewährleistet wäre.
Zugleich ist es für die wesentlichen Entscheidungen unabdingbar, dass die strategische Leitung ausschließlich von denjenigen Patientenorganisationen getroffen werden, die die institutionelle und qualitativ gesicherte Patientenberatung durchführen und selbst verantworten. Notwendig sind schlanke Entscheidungsstrukturen, die eine effiziente Steuerung und Leitung der Organisation ermöglichen. Der SoVD (als Mitglied des Verbunds unabhängiger Patientenberatung e.V., kurz VuP) und der VdK sowie der vzbv und die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen (BAG-P) sind ehemalige Träger des Modellverbunds und Gesellschafter der im Jahr 2006 gegründeten Unabhängigen Patientenberatung Deutschland UPD gemeinnützige GmbH. Beide Sozialverbände sowie der vzbv und die BAG-P bringen die essentiellen und wertvollen Erfahrungen aus der ehemaligen Patientenberatung der UPD, aber auch aus der jahrzehntelangen sozialrechtlichen Mitgliederberatung, mit. Dieses Erfahrungswissen sowie die bereits bundesweit vorhandenen Strukturen der vorgenannten Beratungsorganisationen vor Ort sollten durch entsprechend angemessene Beteiligung in der neuen UPD genutzt werden.
Schlanke Strukturen und eine Fokussierung auf die sich mit institutioneller Patientenberatung beschäftigen Patientenorganisationen stehen einer engen Kooperation mit den „Nichtberatungsleistung erbringenden“ Patienten- und Selbsthilfe-Organisationen keinesfalls entgegen. Zum einen sind die patientenberatungserfahrenen Sozialverbände SoVD und VdK selbst soziale, humanitäre und sozialpolitische Selbsthilfeorganisationen. Sie sind zugleich die beiden größten Patienten- und Behindertenverbände der Bundesrepublik und vertreten fast zwei Millionen Menschen mit amtlich festgestellter Behinderung. Nicht zuletzt auch deswegen sind beide Sozialverbände Sprecherratsmitglieder des Deutschen Behindertenrat (DBR). Als reines Aktionsbündnis der maßgeblichen Verbände chronisch kranker und behinderter Menschen versteht sich der DBR als Plattform gemeinsamen Handelns und des Erfahrungsaustauschs. Der DBR ist kein Dachverband und besitzt damit kein generelles Vertretungsmandat. Die Außenvertretung und Repräsentation des DBR auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene obliegen dem Sprecherrat. Aus diesem Grund nimmt seit 2004 der SoVD mit den weiteren Mitgliedern des Sprecherrates des DBR etwa den gesetzlichen Auftrag der Patientenvertretung auf Basis des § 140f SGB V für den DBR in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen wahr. Zum anderen kann eine unabdingbare und wertvolle Zusammenarbeit mit weiteren nichtberatungsleistungserbringenden Patienten- und Selbsthilfe-Organisationen durch eine organisatorische und mitberatende Beteiligung gewahrt und gewährleistet werden.
Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sollte die UPD aus Steuermitteln finanziert werden. Nur so kann eine echte Unabhängigkeit der UPD von wirtschaftlichen und sonstigen Interessen Dritter oder eine entsprechende Einflussnahme auf die Stiftungsarbeit ausgeschlossen werden. Eine Finanzierung seitens des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen und der privaten Krankenversicherungsunternehmen ist mit erheblichen Bedenken verbunden im Hinblick auf die angestrebte Unabhängigkeit der neuen UPD. Oftmals sind die Krankenkassen selbst Gegenstand der Beratung. Ein Stimmrecht der Kassen im Stiftungsrat hätte daher beispielsweise einen besorgniserregenden Einfluss auf Inhalt und Umfang der gesamten Tätigkeit der Stiftung. Daran ändert sich nichts, wenn den Vertreter*innen der Kassen als Kostenträger ein Stimmrecht – wenn auch formal begrenzt – nur auf Entscheidungen über die Haushaltsaufstellung, die Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung sowie die Rechnungslegung zuerkannt werden würde. Denn es bleibt durch diese Kontroll- und Prüfbefugnis – mittelbar weiterhin – bei der Möglichkeit der umfassenden Einflussnahme. Dies lehnt der SoVD entschieden ab.
Die Höhe der angemessenen Finanzmittel richtet sich nach dem Umfang des gesetzlichen Auftrags, dem Stiftungszweck und den Stiftungszielen. Soweit die Stiftung ihre Tätigkeit zum 1. Januar 2024 aufnehmen soll, ist es ratsam, die Aufgabenfelder der neuen UPD zunächst auf die Kernaufgaben der Patientenberatung zu fokussieren. Im weiteren Verlauf sind hinzukommende Aufgabenfelder perspektivisch vorstellbar und vernünftig, wie etwa eine Ausweitung des Beratungsumfangs oder die Zusammenführung der Patientenberatung und der Pflegeberatung des SGB XI. Weitere Aufgabenstellung erfordern jedoch weitere Finanzmittel.
Um eine Verstetigung zu gewährleisten, muss das Finanzvolumen jährlich dynamisiert werden. Dies kann entsprechend der prozentualen Veränderung der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Sozialgesetzbuches erfolgen.
Die qualitätsgesicherte Information und Beratung in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen mit dem Ziel, die Gesundheitskompetenz der Patient*innen und die Patientenorientierung im Gesundheitswesen zu stärken und Problemlagen im Gesundheitssystem aufzuzeigen, ist ein fortwährender Prozess, der zur Weiterentwicklung und Qualitätssicherung wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden muss.
Der Einsatz von Patientenlots*innen bzw. ein Case Management für bestimmte Patientengruppen mit komplexem Versorgungsbedarf wäre aus unserer Sicht grundsätzlich geboten. Es handelt sich dabei um die Unterstützung von chronisch und mehrfach erkrankten Menschen beim Management ihrer Erkrankung angesichts einer für Patient*innen oft unübersichtlichen Versorgungslandschaft und fehlender Vernetzung von Leistungserbringern. Diese Hilfe sollte als zusätzliche Leistung der gesetzlichen Krankenkassen etabliert werden. Soweit die Kriterien für Qualität und Unabhängigkeit der Stiftungsrat der Patientenstiftung festlegen soll, hängt dies entscheidend von den oben formulierten Anforderungen an eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur der UPD unter einer angemessenen Beteiligung der für eine bundesweit tätige Patientenberatung entscheidungserheblichen Patientenorganisationen ab.
Berlin, 7. November 2022
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik
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