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Rente im Verteilungskampf

Armut

von Ursula Engelen-Kefer*:

Fast ein Jahrzehnt lang ist Deutschland eine Insel des Wirtschafts- und Beschäftigungsbooms innerhalb der Europäischen Union. Nach wie vor gibt es hohe Arbeitslosigkeit in südeuropäischen Mitgliedsländern – aber inzwischen auch in Frankreich und große Armut in einigen Teilen Osteuropas. Gleichzeitig ist die Spaltung der Gesellschaft nach Einkommen, Vermögen und gesellschaftlicher Teilhabe in Deutschland besonders hoch und stagniert seit Jahren.

Insbesondere wachsen die Sorgen vieler Menschen vor Altersarmut. Besonders große Nachteile haben auch nach 70 Jahren Gleichberechtigungsgebot im Grundgesetz immer noch Frauen. Zwar haben sie in Bildung und Beschäftigung gegenüber den Männern erheblich aufgeholt. Bei den Löhnen liegen sie aber immer noch bis zu einem Viertel und bei den Renten sogar um über die Hälfte zurück. Dazu trägt auch bei, dass sie immer noch über 50 Prozent mehr an unbezahlter Familien- und Pflegearbeit leisten.

Teilweise vor, aber vor allem hinter den Kulissen hält die ideologische Auseinandersetzung um die Zukunft unseres Sozialstaates an. Dabei wird der Generationenkonflikt vorgeschoben, um von den zunehmenden Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Wohlstand und Zukunftschancen abzulenken.

Rente muss Lebensstandard sichern

Daran wird auch die jetzt beschlossene erneute Rentenreform der GroKo wenig ändern. Verbesserungen gibt es zwar dadurch, dass der Fall des Rentenniveaus bei den derzeitigen 48 Prozent angehalten und die Beiträge auf 20 Prozent begrenzt werden sollen. Dabei springt die GroKo wieder einmal zu kurz, zumal die Haltelinie bei Rentenniveau und Beiträgen nur bis 2025 gilt, die drohende Altersarmut jedoch erst danach so richtig in Gang kommt. Richten soll es wieder einmal eine Rentenkommission mit dem vielversprechenden Namen „Verlässlicher Generationenvertrag“ – zumal sich die Politik wenig darum schert.

Auch die Mütterrenten I und II, wonach für die vor 1992 geborenen Kinder zusätzliche Rentenpunkte gewährt werden, sind nur eine halbherzige Lösung. Zum einen fehlen an einer Gleichstellung mit drei Rentenpunkten immer noch 0,5 Punkte. Zum anderen ist deren Finanzierung ein erneuter Raubzug der Bundesregierung in die derzeit gut gefüllten Kassen der Beitragszahler, obwohl es sich um eine gesamtgesellschaftliche Leistung handelt, die aus allgemeinen Steuern zu finanzieren ist. Da die Mütterrente auf die Grundsicherung im Alter angerechnet wird, werden am wenigsten die Frauen etwas davon haben, die dies am dringendsten brauchen.

Es bleibt die SoVD-Forderung nach einer Rente, die den Lebensstandard auch im Alter maßgeblich absichert. Dazu müssen die willkürlichen Verschlechterungen der Riester-Reformen abgeschafft und das Rentenniveau stufenweise wieder auf 53 Prozent angehoben werden.

Rente muss zum Leben reichen

Nach jahrelangen unerfüllten Versprechungen hat das Bundesarbeitsministerium (BMAS) jetzt den Referentenentwurf einer Grundrente für langjährige Geringverdiener mit 35 Beitragsjahren vorgelegt.  Sowohl Altersarmut soll  bekämpft als auch die Lebensleistung anerkannt werden. Aufgegriffen werden damit langjährige Vorstellungen des SoVD.  Die vorgesehene Aufwertung der Rentenpunkte soll mit bis zu 0,8 sogar etwas höher bemessen werden. Als Ausfallzeiten sind allerdings nur Kindererziehung und Pflegeleistungen vorgesehen, während nach Auffassung des SoVD auch Zeiten der Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind.

Die geplanten Freibeträge für eigen erworbene Rentenansprüche entsprechen ebenfalls langjährigen Vorschlägen des SoVD. Allerdings ist gerade hierbei die vorgesehene Bedingung von 35 Beitragsjahren nicht sinnvoll.  Da  erklärtermaßen die Anerkennung der Lebensleistung bei Niedriglohn im Vordergrund steht, sollte dies nicht weiter begrenzt werden.

Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung

Der Vorschlag zur Einführung einer derartigen Grundrente steht und fällt jedoch mit der GroKo-Entscheidung über die Bedürftigkeitsprüfung. Nach Vorstellung von BMAS und SPD soll diese entfallen, und damit könnten etwa drei Millionen Niedrigrentner profitieren. Setzen sich CDU und CSU mit ihrer Forderung nach Abhängigkeit der Grundrente von der Bedürftigkeit durch, wären nur wenige Hunderttausend erfasst.

Dabei geht es um die Entscheidung, ob die wenigen wohldotierten „Zahnarztgattinnen“ mehr wert sind als die Millionen Niedrig- und Armutslöhner, die trotz jahrelanger Arbeit im Alter den unwürdigen Gang zum Sozialamt antreten müssen. Zudem ist hinlänglich bekannt, dass ein großer Teil der betroffenen älteren Menschen aus Sorge vor der finanziellen Belastung Angehöriger und Scham vor der Nachbarschaft die ihnen zustehenden Sozialleistungen gar nicht in Anspruch nimmt. Das im Koalitionsvertrag allerdings mit Bedürftigkeitsprüfung vorgesehene Grundrentenmodell liefe damit weitgehend ins Leere. Auch die Mütterrente mit zusätzlichen Rentenpunkten für die vor 1992 geborenen Kinder wird ohne jegliche Bedürftigkeitsprüfung geleistet.

Ein weiterer Pferdefuß ist die Finanzierung der Grundrente. Nach verschiedenen Erklärungen aus der Politik, allen voran von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist eine armutsfeste Rente als gesamtgesellschaftliche Leistung über allgemeine Steuern zu finanzieren. Die vom BMAS selbst vorgeschlagene Finanzierung sieht jedoch wieder Verschiebemanöver bei der Sozialversicherung vor. Es bleibt die Fortsetzung der Ausplünderung der Sozialkassen zu Lasten der Beitragszahler, wie dies bereits bei der Finanzierung der Mütterrenten erfolgt. Das unwürdige Gezerre in der GroKo um die seit Jahren überfällige armutsfeste Rente könnte zu einer weiteren bitteren Enttäuschung von Millionen Menschen führen.

Fazit

Die Sisyphusarbeit für eine zukunftsfeste Alterssicherung für Männer und Frauen ist bei weitem lohnender als vermeintliche Patentrezepte eines bedingungslosen Grundeinkommens. Unabdingbar sind weiterhin: die Reregulierung des Arbeitsrechtes, vor allem die Überführung der skandalös ausgeweiteten Minijobs in reguläre Arbeit mit Sozialversicherung; armutsfeste Mindestlöhne von mindestens zwölf Euro sowie eine Gesellschaftspolitik zur Vereinbarung von Beruf und Familie. Überfällig ist weiterhin die Verbreiterung der Solidarität in der gesetzlichen Rentenversicherung um alle Erwerbstätigen. Dass dies mit sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit funktionieren kann, beweist die gesetzliche Rentenversicherung in Österreich mit annähernd doppelt so hohen Renten für Männer und Frauen.

*Ursula Engelen-Kefer ist promovierte Volkswirtin. In ihrer langen Karriere war sie unter anderem Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Heute ist sie Honorarprofessorin an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit. Seit 2009 leitet sie den Arbeitskreis Sozialversicherung im SoVD-Bundesverband und ist seit 2015 Mitglied des Bundesvorstands im SoVD. Im März 2019 ist Ursula Engelen-Kefer zur Landesvorsitzenden des SoVD in Berlin-Brandenburg gewählt worden.


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