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Stellungnahme: Gesetzentwurf zum Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG)

Gesundheit

SoVD-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz - GVSG)

1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs

Mit dem Ziel einer noch besseren, auf die Bedürfnisse der Patient*innen ausgerichteten Gesundheitsversorgung führt der Gesetzentwurf ein Bündel an Maßnahmen zu unterschiedlichsten Regelungsbereichen auf, darunter:

  • ein künftiges Vetorecht der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA),
  • eine Beschleunigung des Bewilligungsverfahren im Hilfsmittelbereich bei Anträgen von Kindern oder Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen,
  • eine separate Bedarfsplanung von Kinder- und Jugendpsychotherapeuten
  • eine Veröffentlichung der Leistungs- und Servicequalität von gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen,
  • Beitragsfreiheiten bei Waisenrenten oder entsprechende Hinterbliebenenversorgungsleistungen während der Ableistung eines Freiwilligendienstes sowie
  • verschiedene Maßnahmen zur Anpassung der Vergütung der Hausärzt*innen, darunter die Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sowie die Einführung einer jährlichen Versorgungspauschale zur Behandlung chronisch kranker Patient*innen und eine Vorhaltepauschale für die Wahrnehmung des hausärztlichen Versorgungsauftrages.

2 Gesamtbewertung

Als Interessensverband für die Wahrnehmung der Interessen seiner Mitglieder, der Patient*innen und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen bemisst der SoVD die Maßnahmen des Gesetzentwurfs an dem Grad der Verbesserung für die ambulante Versorgung. Vor diesem Hintergrund fällt die Bewertung durchwachsen aus.

Den wesentlichen Schwerpunkt des Gesetzes bilden nunmehr vornehmlich die Regelungen zur Honoraranpassung der ambulanten hausärztlichen Versorgung. Angesichts der demografischen Entwicklung ist es grundlegend richtig, Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung zu fördern. Praxen, die ebenjene arbeitsund zeitintensive – aber gerade für immobile, multimorbide und ältere Patient*innen essenzielle – hausärztliche Leistungen der Grundversorgung wie Haus und Pflegeheimbesuchen tätigen, müssen bessergestellt werden, als Praxen, die sich nicht daran beteiligen. Dabei können die vorgesehenen festzulegenden Kriterien zur Abrechenbarkeit der Pauschale, wie etwa Mindestpatient*innenzahlen, die aufsuchende Behandlung von Versicherten über 75 Jahren oder bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten in den Abendstunden oder an Samstagen, helfen.

Eine Gefahr von Versorgungsnachteilen infolge finanzieller Fehlanreize befürchtet der SoVD durch die geplanten jährlichen Versorgungspauschalen für chronisch Kranke in seiner jetzigen Ausgestaltung und warnt vor einer drohenden Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung gerade für besonders betreuungsintensive Patient*innen. Zudem muss sichergestellt werden, dass Versorgungs- und Vorhaltepauschalen aufeinander abgestimmt werden und zueinander in ein angemessenes Verhältnis stehen, um unangemessene Abrechnungsoptimierungen und finanzielle Fehlanreize zu vermeiden.

Eine Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung sieht der SoVD ambivalent: Ein positiver Effekt aus Patient*innensicht ist der Wegfall des Hauptgrunds für die spürbare Quartalslogik in der ambulanten hausärztlichen Versorgung (Neupatient*innenbegrenzung, weniger Behandlungstermine und Verordnungen am Quartalsende oder Wiedereinbestellung von Patient*innen zum Quartalsanfang infolge Budgetausreizung). Ärztliche Leistungen sollten zudem angemessen vergütet werden. Gleichzeitig sind mit dem Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich erhebliche Ausgabenanstiege und ökonomisch veranlasste Fehlversorgungen zu befürchten. Angesichts der angespannten Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung sind in der Folge steigenden Zusatzbeiträge zu befürchten, die vor allem kleine und mittlere Einkommen belasten. Notwendig sind endlich grundlegende und zukunftsgerichtete Reformen für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Keinesfalls darf der Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich eine Verantwortungsverlagerung auf die Patient*innen für eine wirtschaftliche Leistungserbringung und Inanspruchnahme bei der ambulanten Versorgung zur Folge haben, wie etwa Kostenbeteiligungen durch die Patient*innen. Beispielhaft sei an die Einführung der Praxisgebühr erinnert, die erwiesenermaßen eine leistungssteuernde Wirkung klar verfehlt hat. Mit der allgemeinen Entbudgetierung wird auch kaum eine Verbesserung der Versorgung in bereits unterversorgten Regionen erreicht. Dort sind vielmehr gezielte (auch finanzielle) Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der hausärztlichen Versorgung und eine zielgenauere Bedarfsplanung notwendig. Vor diesem Hintergrund ist eine zeitnahe Evaluation sowohl der Abrechnungsströme wie auch der Versorgungsleistung essenziell. Notwendig sind ergänzende Maßnahmen zur Vorbeugung von Abrechnungsoptimierung und Ungenauigkeiten.

Ausdrücklich positiv bewertet der SoVD die geplante Verbesserung in der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch die Einführung einer eigenen bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppe. Daneben sollte die psychotherapeutische Versorgung durch weitere Kassensitze für Psychotherapeut*innen insgesamt verbessert werden, um den bestehenden und weiter zunehmenden Versorgungsbedarf, gerecht zu werden.

Des Weiteren begrüßt der SoVD die Verfahrensvereinfachung im Hilfsmittelbereich für Menschen mit Behinderungen und die Beitragsfreiheit von Waisenrenten während der Ableistung von Freiwilligendiensten. Auch die Transparenz über die Leistungsund Servicequalität der Kranken- und Pflegekassen wird befürwortet. Der SoVD erhofft sich davon eine spürbare Stärkung des Qualitätswettbewerbs der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen untereinander.

Hingegen lehnt der SoVD ein Vetorecht für die Patientenvertretung im GBA ab. Eine Stärkung erfährt die Patientenvertretung nicht durch ein destruktives Vetorecht, das sich letztlich in einem reinen Symbolcharakter erschöpft. Stattdessen sind konstruktive Ergänzungen der Mitgestaltungsrechte und die weitere Stärkung der Patienten und Pflegebetroffenenbeteiligung in personeller, finanzieller und struktureller Hinsicht notwendig, um ihren gesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung durch Mitberatung im Gesundheitswesen auch künftig sachgerecht wahrnehmen zu können.

3 Zu einzelnen Regelungen

Zu Artikel 1 Nr. 2: Wichtige Verfahrensvereinfachung im Hilfsmittelbereich für Menschen mit Behinderungen

(Artikel 1 Nr. 2 zu § 33 Abs. 5c NEU)

Zur Beschleunigung von Bewilligungsverfahren im Hilfsmittelbereich bei Anträgen von Kindern oder Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung wird das Prüfprogramm der Krankenkassen für solche Hilfsmittelversorgungen eingeschränkt, die von Versicherten beantragt werden, die in regelmäßiger Behandlung in einem sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) oder einem medizinischen Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung (MZEB) sind, sofern der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin des SPZ oder des MZEB die beantragte Versorgung empfiehlt. Die Krankenkassen haben in diesen Fällen von der medizinischen Erforderlichkeit der beantragten Versorgung auszugehen.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die Verfahrensvereinfachung ausdrücklich. Zurecht geht der Gesetzentwurf davon aus, dass eine regelhafte gesonderte Prüfung der medizinischen Erforderlichkeit der beantragten Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen und eine Beauftragung des Medizinischen Dienstes zur sozialmedizinischen Begutachtung in diesen Fällen angesichts der intensiv interdisziplinären Betreuung in den genannten Einrichtungen und der besonderen Eilbedürftigkeit bei der Versorgung und der notwendigen Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe der betroffenen Versicherten unterbleiben kann. Dies gilt erst recht bei sich noch im Wachstum befindlichen Kindern oder jungen Erwachsenen, bei denen eine gleichmäßige hilfsmittelgestützte Förderung der kognitiven und motorischen Entwicklung sowie eine frühzeitige und kontinuierliche Mobilisation den Grad der Schwere der Behinderung und den damit einhergehenden Beeinträchtigungen im täglichen Leben positiv beeinflussen kann.

Zu Artikel 1 Nr. 8 a: Gefahr von Versorgungsnachteilen durch jährliche Versorgungspauschale für chronisch Kranke

Zu Artikel 1 Nr. 8a (§ 87 Abs. 2b Sätze 4 und 6 –NEU)

Bei der Versorgung chronisch kranker Patient*innen soll künftig eine jahresbezogene Versorgungspauschale ab dem ersten Kontakt mit der Hausarztpraxis einmal jährlich abgerechnet werden können. Dies ersetzt die bisherige Versichertenpauschale, die die Hausarztpraxen derzeit in jedem Quartal abrechnen, in dem mindestens ein Versichertenkontakt stattfindet. Ziel ist eine Entlastung der Praxen von Bürokratie und von – aus medizinischer Sicht – nicht erforderlich wiederholt quartalsweiser Praxiskontakten der Versicherten, zum Beispiel zur Ausstellung von Folgerezepten.

SoVD-Bewertung: Mag die zugrundeliegende Zielsetzung einer effizienten Nutzung von vorhandenen Versorgungskapazitäten gerade in der hausärztlichen Versorgung grundsätzlich nachvollziehbar sein, besteht derzeit mit der Ausgestaltung der geplanten jährlichen Versorgungspauschale der Grund zur Sorge, dass es zu einer erheblichen Verschlechterung der medizinischen Versorgung gerade für die besonders vulnerable Betroffenengruppe der behandlungsintensiven chronisch erkrankten Patient*innen kommen kann. Denn laut der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi)1 käme es durch die neue Regelung zu finanziellen Fehlanreizen im Vergleich zur derzeitigen Vergütungssystematik. Für Hausärzt*innen, die sich auf Chroniker*innen mit wenig Praxiskontakt konzentrieren, böte die neue Vergütungssystematik deutliche vergütungsbezogene Anreize. Doch bereits ab drei Quartalen kehrt sich der Vergütungseffekt um. Gerade letztere träfe laut Berechnungen der KVen und des Zi auf zwei Drittel aller Chroniker*innen, zu die 2022 eine oder mehrere Hausarztpraxen aufsuchten. In der Konsequenz könnte es gerade für betreuungsintensive Patient*innen noch schwerer werden, eine behandelnde Praxis zu finden. Vor diesem Hintergrund sind zumindest gezielte Korrekturen zur Vermeidung etwaiger finanzieller Fehlanreize bei der jährlichen Versorgungspauschale zwingend erforderlich. Keinesfalls darf die Regelung eine Verschlechterung für die Versorgung von Patient*innen zur Folge haben. In diesem Zusammenhang sei an die sogenannte Mehrfachverordnung erinnert, etwa Folgerezepte bei einer Dauermedikation, die neben der Wegeentlastung der Patient*innen eben auch zur Entlastung der Praxen gerade von nicht erforderlich wiederholt quartalsweiser Praxiskontakten eingeführt wurde. Im Versorgungsalltag wird jedoch bislang nur unzureichend von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das GVSG bietet die Gelegenheit, hier ebenfalls nach zu justieren.

Zu Artikel 1 Nr. 8 c: Vorhaltepauschale als finanzieller Anreiz

Zu Artikel 1 Nr. 8a (§ 87 Abs. 2b Sätze 4 und 6 – NEU)

Die Vergütung der zur Erfüllung von Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung notwendiger Strukturen soll künftig durch eine sogenannte Vorhaltepauschale erfolgen, deren Abrechenbarkeit an die Erfüllung vom Bewertungsausschuss noch festzulegender Kriterien geknüpft ist. Die Kriterien sollen laut Gesetz insbesondere 

eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheimbesuchen, bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, die vorrangige Versorgung der Versicherten mit Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet, eine festzulegende Mindestanzahl an zu versorgenden Versicherten sowie die regelmäßige Nutzung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur umfassen. Das Gesetz sieht eine Evaluation der Auswirkungen der Regelungen bis zum 31. Dezember 2028 vor.

SoVD-Bewertung: Angesichts der demografischen Entwicklung ist es aus Sicht des SoVD grundlegend richtig, Aufgaben der hausärztlichen Grundversorgung zu fördern. Sie sind ein Kernelement der hausärztlichen Versorgung. So sind beispielsweise gerade Hausund Pflegeheimbesuche für immobile, multimorbide und ältere Patient*innen essenziell und notwendig. Berufstätige sind unter der Woche besonders auf Abendsprechstunden oder Öffnungszeiten an Samstagen angewiesen. Doch sind gerade Leistungen der hausärztlichen Grundversorgung zeitund arbeitsintensiv. Hier müssen Praxen, die ebenjene hausärztlichen Leistungen der Grundversorgung tätigen, bessergestellt werden, als Praxen, die sich nicht daran beteiligen. Entsprechend müssen mit der Vorhaltepauschale Mechanismen zur Differenzierung sowie angemessene Abrechnungen einhergehen. Die vorgesehenen festzulegenden Kriterien zur Abrechenbarkeit der Pauschale, wie etwa Mindestpatient*innenzahlen, die aufsuchende Behandlung von Versicherten über 75 Jahren oder bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten in den Abendstunden oder an Samstagen, können dabei helfen. Inwieweit dieser finanzielle Anreiz in Form einer Vorhaltepauschale flächendeckend die Vorhaltung einer umfassenden häuslichen Grundversorgung sicherzustellen vermag, bleibt angesichts bereits heute ausgelasteter Praxen fraglich. Entsprechend ist eine Evaluation sinnvoll, die allerdings in einem kürzeren Zeitraum erfolgen sollte, als vorgesehen.

Zu Artikel 1 Nr. 9: Zurückhaltung bei der Entbudgetierung

Artikel 1 Nr. 9 (zu § 87a Abs. 3c – NEU)

Die Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung werden von mengenbegrenzenden oder honorarmindernden Maßnahmen ausgenommen (Entbudgetierung), – analog zur bereits erfolgten Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin. Dies führt laut Gesetzentwurf zu jährlichen Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe eines unteren dreistelligen Millionenbetrages. Damit soll auch eine Vereinbarung in dem aktuellen Koalitionsvertrag entsprochen werden.

SoVD-Bewertung: Ziel des Gesetzentwurfes ist eine bessere Versorgung der Patient*innen. Vor diesem Hintergrund sieht der SoVD eine Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung ambivalent: Ein positiver Effekt aus Patient*innensicht 

dürfte der damit verbundene Wegfall der spürbaren Quartalslogik in der ambulanten hausärztlichen Versorgung sein. SoVD-Mitglieder berichten immer wieder von mangelnden Behandlungstermine und Verordnungen am Quartalsende oder einer Wiedereinbestellung erst zum Anfang des Folgequartals. Auch sehen sich Praxen gehalten Neupatient*innen abzulehnen, was insbesondere in Regionen mit einem Hausärztemangel ein erhebliches Problem darstellt. Ärztliche Leistungen sollten grundsätzlich und angemessen vergütet werden, wenn sie medizinisch notwendig erbracht wurden.

Der Gesetzentwurf prognostiziert mit der Entbudgetierung der Hausärzt*innen verbundene jährliche Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe eines unteren dreistelligen Millionenbetrages. Allerdings dürften mit dem Wegfall des einzigen Instruments zur wirksamen Mengenbegrenzung im vertragsärztlichen Versorgungsbereich erhebliche Ausgabenanstiege und die Zunahme von ökonomisch veranlassten Fehlversorgung in Form der Überversorgung zu befürchten sein. Schließlich ermöglicht die Entbudgetierung finanzielle Anreize zur Abrechnungsoptimierung. Dies darf keinesfalls in der Folge zu einer Verantwortungsverlagerung auf Patient*innen für eine wirtschaftliche Leistungserbringung bei der ambulanten Versorgung führen.

Schließlich wird mit der allgemeinen Entbudgetierung auch kaum eine Verbesserung der Versorgung in bereits unterversorgten Regionen erreicht werden. Auch der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages über die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen Ende vergangenen Jahres davon abgeraten, die Budgetierung im hausärztlichen Versorgungsbereich vollständig aufzuheben. Angesichts der bundesweiten durchschnittlichen Auszahlungsquoten von 97 bis 99 Prozent brächte die Aufhebung der Budgetierung für die meisten Leistungserbringenden keinen maßgeblichen finanziellen Vorteil, insbesondere nicht in unterversorgten Regionen.

Vor diesem Hintergrund ist eine zeitnahe Evaluation sowohl der Abrechnungsströme wie auch der Versorgungsleistung essenziell. Notwendig sind ergänzende Maßnahmen zur Vorbeugung von Abrechnungsoptimierung und ungenauigkeiten.

Zu Artikel 1 Nr. 15: Bessere psychotherapeutische Versorgung

Artikel 1 Nr. 15 (zu § 101 Abs. 4a NEU)

Zur Verbesserung psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen bilden psychotherapeutisch tätige Ärzt*innen sowie Psychotherapeut*innen, die überwiegend oder ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, zukünftig eine eigene bedarfsplanungsrechtliche Arztgruppe.

SoVD-Bewertung: Die Bildung der neuen gesonderten bedarfsplanungsrechtlichen Ärtz*innengruppe ist notwendig und wird ausdrücklich begrüßt. Dies ermöglicht zukünftig eine zielgenauere Steuerung der Niederlassungsmöglichkeiten, was den Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche flächendeckend entscheidend verbessern kann. Prävention und Therapie von psychischen Erkrankungen müssen kurzfristig ermöglicht werden. Kinder und Jugendliche in besonderen Lebenslagen wie Kinderarmut, sozialer Ausgrenzung oder beengter Wohnsituation haben seit jeher ein erhöhtes Risiko, psychische Erkrankungen zu entwickeln. Die Corona-Pandemie hat laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit zu einem zusätzlichen Anstieg psychischer Krankheiten geführt, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Ein gravierendes Problem bei der psychotherapeutischen Versorgung sind die langen Wartezeiten auf Behandlungsplätze. Sie wirken sich besonders negativ auf psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche aus, da sie zu einer Verschlimmerung und Chronifizierung vorhandener Erkrankungen für den weiteren Lebensund Bildungsweg der betroffenen jungen Menschen führen können. Dies wird durch die Versorgungsschieflage zwischen ländlichen und städtischen Bereichen bzw. in sozial benachteiligten Bezirken weiter verschärft.

Darüber hinaus muss die psychotherapeutische Versorgung insgesamt verbessert werden. Immer mehr Menschen brauchen aufgrund psychischer Probleme oder einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens professionelle Hilfe und Therapie. Laut Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) warten Betroffene im Schnitt mehr als fünf Wochen auf ein sogenanntes psychotherapeutisches Erstgespräch. Im Anschluss warten rund 40 Prozent der Betroffenen drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung. Im Schnitt sind es bundesweit 19,9 Wochen, fast fünf Monate. In NordrheinWestfalen sind es im Schnitt sogar 23,1 Wochen oder fast sechs Monate. 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in der Bedarfsplanungsrichtlinie zusätzlich 776 Sitze für Vertragspsychotherapeuten genehmigt.

Ein vom GBA zuvor beauftragtes Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung hatte jedoch bei der Abschätzung des Bedarfes an zusätzlichen Kapazitäten bei Psychotherapeut*innen einen Bedarf von rund 2.400 festgestellt. Notwendig ist die Absenkung der Verhältniszahlen für die Arztgruppe der Psychotherapeut*innen um mindestens 20 Prozent, wodurch die laut Gutachten fehlenden 1.600 zusätzlichen Kassensitze für Psychotherapeut*innen gezielt dort entstehen könnten, wo heute die Versorgung besonders schlecht ist.

Zu Artikel 1 Nr. 22 b: Stärkere Mitwirkungsrechte statt symbolisches Vetorecht

Artikel 1 Nr. 22b (zu § 140 f Abs. 2 S. 8 ff. NEU)

Der Gesetzentwurf sieht die Einführung eines temporären Vetorechts der Patientenvertretung im Beschlussgremium des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vor. Damit soll die Patientenvertretung einmalig eine Beschlussfassung verhindern und eine weitere Beratung der Thematik des Beschlusses erwirken. In einer der kommenden Sitzungen des GBA kann dieser allerdings erneut beschlossen werden. Ein erneut ablehnendes Votum der Patientenvertretung führt dann nicht zu einer weiteren Hemmung, es sei denn, der Beschlussgegenstand wurde maßgeblich geändert (etwa eine inhaltliche Erweiterung oder Kürzung von Teilen des Beschlussgegenstandes).

SoVD-Bewertung: Der SoVD lehnt als einer der in der Patientenvertretung des GBA mitwirkenden Patientenorganisationen die Einführung eines temporären Vetorechts der Patientenvertretung ausdrücklich ab. Artikel 1 Nr. 22 b) des Gesetzentwurfs ist zu streichen.

Als Stimme der über 70 Millionen gesetzlich Versicherten wirken Patientenvertreter*innen seit 20 Jahren engagiert an den Entscheidungsprozessen und Beschlussfassungen in dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung des deutschen Gesundheitswesens mit. Diese Mitwirkung hat sich bewährt und das deutsche Gesundheitswesen davon insgesamt profitiert. Vertreter*innen der Patienten*innen und Pflegebetroffenen bringen ihr Wissen um die Bedürfnisse und die Probleme aus dem Versorgungsalltag, aus der eigenen Betroffenheit, der organisierten Selbsthilfe und der Beratung in die Beratungsprozesse ein. Zugleich hat die Beteiligung zu deutlich mehr Transparenz und Patientenorientierung geführt. Mit den zunehmenden Aufgaben der Selbstverwaltung sind aber auch die Aufgaben und Anforderungen an die Patienten und Pflegebetroffenenvertretung über die Jahre mitgewachsen. Dabei entspricht es nicht dem Anliegen und dem Verständnis des SoVD von einer Patientenvertretung, notwendige Entscheidungsprozesse lediglich symbolisch zeitweise zu blockieren oder zu verzögern. Ein Vetorecht ist vor allem ein destruktives Instrument. Die Patientenvertretung möchte die Versorgung konstruktiv mitgestalten. Damit die Patientenvertretung ihren gesetzlichen Auftrag zur Mitgestaltung durch Mitberatung im Gesundheitswesen sachgerecht wahrnehmen kann, sind konstruktive 

Ergänzungen der Mitgestaltungsrechte und die weitere Stärkung der Patienten und Pflegebetroffenenbeteiligung in personeller, finanzieller und struktureller Hinsicht notwendig. Nur so ist die systemunterstützende Arbeit der Patientenbeteiligung aufrechtzuerhalten, um weiterhin auf Augenhöhe mit den Selbstverwaltungspartnern in den Entscheidungsverfahren zur Ausgestaltung des Gesundheitswesens mitwirken zu können.

Die maßgeblichen Patientenorganisationen haben sich in einem gemeinsamen Forderungspapier gegen ein Vetorecht ausgesprochen und stattdessen konkrete Maßnahmen und Forderungen zur Stärkung der Patientenbeteiligung und vertretung im GBA und weiteren Beteiligungsgremien nach § 140f SGB V zur Berücksichtigung im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz veröffentlicht2 .

Zu Artikel 1 Nr. 24: Transparenz über Leistung und Service der Kranken- und Pflegekassen überaus sinnvoll

Artikel 1 Nr. 24 (zu § 217f Abs. 4 NEU)

Für gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherte soll ein übersichtliches und niedrigschwelliges digitales Informationsund Vergleichsangebot der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung geschaffen werden. Kennzahlen und Informationen sollen mehr Transparenz über die Leistungsund Servicequalität herstellen, etwa zu der Anzahl von Genehmigungen, Ablehnungen, Widersprüchen und Klagen im Leistungsgeschehen, differenziert nach versichertenrelevanten Leistungsbereichen, die versicherungsrelevante Bearbeitungsdauer, Angaben zu den Beratungsund Unterstützungsangeboten der Kassen etwa bei Antragsprozessen, dem Beschwerdemanagement und der Förderung der Patientensicherheit sowie der Inanspruchnahme von Pflegeberatungen und Pflegekursen der Pflegekassen. Die Kennzahlen und Informationen sind vom GKVSpitzenverband einheitlich und verbindlich in einer Richtlinie festzulegen und jährlich auf einer digitalen Plattform zu veröffentlichen.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die transparente Veröffentlichung der Leistungsund Servicequalität der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegekassen ausdrücklich. Dies ermöglicht gesetzlich Versicherten bei einem Wechsel der Kasse eine zusätzliche Orientierung und stärkt letztlich den qualitätsorientierten Wettbewerb unter den Kassen. Denn neben den grundlegend identischen Leistungen der gesetzlichen Kassen bestehen bei einigen Serviceund Leistungsangeboten erhebliche Unterschiede.

Zu Artikel 1 Nr. 25: Waisenrentner*innen werden entlastet

Waisenrenten oder entsprechende Hinterbliebenenversorgungsleistungen werden künftig auch während der Ableistung eines Freiwilligendienstes innerhalb der Altersgrenzen nach § 10 Absatz 2 Nummer 3 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung beitragsfrei gestellt.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt die Beitragsfreiheit von Waisenrenten bei Freiwilligendiensten. Damit werden junge Menschen, die bereit sind, sich ehrenamtlich und freiwillig für die Gesellschaft zu engagieren, bei Bezug einer Waisenrente beitragsrechtlich entlastet und sinnvoll unterstützt.

Berlin, 30. April
2024 DER VORSTAND


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