Seit Monaten schon stoßen die 970 Tafeln in Deutschland an ihre Belastungsgrenzen, die Probleme sind überall dieselben. Es gibt zu wenig Ware; gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen, die sich den Einkauf im Supermarkt kaum leisten können. Das ist jedoch nicht die einzige Sorge. Die Betriebskosten, darunter die Kosten für die Kühlung von Produkten und für Anfahrten, sind enorm gestiegen. Und damit nicht genug: Die Spenden und die Zahl der freiwilligen Helfer*innen schrumpfen. So sind Aufnahmestopps für die Tafeln keine Ausnahme mehr, Wartelisten für Bedürftige gehören längst zum Alltag.
Das Prinzip der Tafeln ist so einfach wie sinnstiftend: Ehrenamtlich Mitarbeitende sammeln im Handel und von Herstellern Lebensmittel ein, die sonst im Abfall landen würden, und geben sie an Armutsbetroffene weiter. So erhalten Menschen in prekärer Lage einen kleinen finanziellen Spielraum, während überdies ein Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet wird. Weil zugleich Begegnung stattfindet, stärkt das außerdem soziale Teilhabe.
Doch die Tafeln in Deutschland sind zunehmend am Limit ihrer Kapazitäten. Allein seit Beginn des Ukraine-Krieges verzeichneten sie 50 Prozent mehr Kund*innen, sagte Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Bundesverbandes der Tafeln, in einem dpa-Interview. Die ehrenamtlichen Einrichtungen arbeiteten angesichts der gestiegenen Nachfrage in einem „Dauerkrisenmodus“, so Steppuhn. „Das sind nicht nur Geflüchtete. Es sind auch Menschen, die unter den gestiegenen Preisen leiden und nicht mehr zurechtkommen.“
In der Spitze versorgten Tafeln derzeit bis zu zwei Millionen Menschen mit Lebensmitteln. Die Zahl der Ukrainer*innen, die Lebensmittel bei Tafeln beziehen, ist inzwischen sogar rückläufig: „Wir beobachten bei den ukrainischen Kriegsgeflüchteten, dass viele mittlerweile im Arbeitsmarkt angekommen sind und nicht mehr auf die Tafel angewiesen sind.“
Sabine Werth gründete vor 30 Jahren die erste Tafel
Am 21. Februar 1993 gründete Sabine Werth in Berlin die erste Tafel. „Als wir vor 30 Jahren unter der Kohl-Regierung begonnen haben, hieß es noch, es gebe keine Armut in Deutschland. Alles sei durch das Sozialsystem abgesichert. Das würde heute niemand mehr sagen“, sagte Werth neulich gegenüber Pressevertreter*innen.
Durch den Zuzug der Ukraine-Flüchtlinge und die Inflation sei der Bedarf erheblich gestiegen, weiß die Tafelgründerin ebenso. „Aber auch Rentner*innen und Menschen, die nach der Corona-Pandemie kaum noch Ersparnisse haben, sind häufig in den Ausgabestellen anzutreffen.“
Allein die Berliner Tafel e. V. verteilt im Monat rund 660 Tonnen Lebensmittel. Sie beliefert 400 soziale Einrichtungen und unterstützt so monatlich rund 92.000 Berliner*innen. Rund 2.700 Menschen engagieren sich bei der Berliner Tafel ehrenamtlich. Im vergangenen Jahr versorgte sie in den Ausgabestellen etwa 750.000 Personen mit Lebensmitteln.
Weniger Lebensmittel und Termine für die Ausgabe
Um den steigenden Bedarf zu decken, würden unter anderem Ausgabetermine der Tafeln gestreckt. „Oder wir geben weniger aus. Das heißt, die Leute bekommen nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Apfel, und kein ganzes Kilo Kartoffeln, sondern nur noch ein Pfund“, so die Tafel-Vorsitzende.
Anfang Oktober besuchte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier, begleitet von ihrer Büroleiterin Stefanie Lausch, die Berliner Tafelgründerin vor Ort.
Werth gab unter anderem wertvolle Einblicke in die wichtige Arbeit, die auf dem Großmarkt in der Beusselstraße in Berlin die zahlreichen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden leisten. Michaela Engelmeier stellte bei ihrem Besuch zur Rolle der Tafeln fest: „Die Tafeln sind nicht Teil des Sozialstaates und haben daher auch nicht dessen Aufgaben, wie die Versorgung der Menschen zu gewährleisten.“
Tafeln werden in die Rolle von Versorgerinnen gedrängt
Die SoVD-Vorstandsvorsitzende verwies in diesem Kontext auf die Ursprünge der Tafeln, die vor allem entstanden waren, um Lebensmittelverschwendung zu verringern. „Dass die Tafel zunehmend in die Rolle der Versorgerin gedrängt wird, führt zu Überforderung bei den Helfenden und zeigt, dass soziale Schieflagen in der Gesellschaft wachsen. Hier muss die Politik durch gute soziale Reformen gegensteuern!“
Weiter gegen Verschwendung von Lebensmitteln
Werth will sich auch künftig gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen. „Ich möchte, dass sich beim Mindesthaltbarkeitsdatum entweder an der Bezeichnung etwas ändert oder am Verständnis dafür. Die meisten Leute halten es immer noch für ein Wegwerfdatum.“ Auch ein Gesetz, das Supermärkten das Wegwerfen von Lebensmitteln verbiete, fehle. „Solange das Wegwerfen von Lebensmitteln nicht verboten sein darf, kann auch das Retten von Lebensmitteln nicht verboten sein“, sagte Werth mit Blick auf das „Containern“ – das Holen von Lebensmitteln aus Abfallcontainern.
Anders als der Bundesverband Tafel Deutschland spricht sich Sabine Werth gegen eine staatliche Grundfinanzierung der Tafel aus. Nur so könne der Verein unabhängig bleiben und ohne fremde Vorgaben agieren.
Im Gespräch mit der Berliner Tafelvorsitzenden standen auch aktuelle politische Themen wie Bürgergeld, Inflationsausgleich für Rentner*innen und Kindergrundsicherung zur Diskussion.
Sabine Werth ist dem SoVD eng verbunden. Sie war bereits zu Gast bei SoVD.TV und wird bei der 23. Bundesverbandstagung im November Podiumsgast bei einer Diskussionsrunde im Rahmen des öffentlichen Teils sein.
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