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Über die Faszination des Raumklang-Erlebens

Selbstständige und Künstler*innen trifft die Corona-Krise besonders hart. Jonas Hauer, blinder Musiker aus Berlin, erzählt im Gespräch aus seinem Künstleralltag mit Corona, über seine Liebe zum Jazz und die mangelnde Barrierefreiheit im Internet, die Sehbehinderte immer noch benachteiligt. Hauer ist deutschlandweit mit seinen Arrangements für die Band „Dota“ bekannt geworden.

Jonas Hauer sitzt an seinem Flügel.
Jonas Hauer ist am Flügel musikalisch erwachsen geworden. Seine Liebe zum Jazz hat der Berliner dabei nie verloren. Foto: Wolfgang Borrs

Das Studio von Jonas Hauer befindet sich in einem malerischen Hinterhaus im Berliner Stadtteil Friedenau. Der vom Großstadtlärm abgeschirmte Kellerraum ist ein wunderbares Refugium, wie Hauer zu erzählen weiß: „Ich kann hier unten üben und störe keine Menschenseele. Über dem Studio wohne ich ja selbst seit rund 15 Jahren, deshalb habe ich keine Probleme mit Lärmbelästigung. Früher bin ich schon aus verschiedenen Wohnungen rausgeflogen, weil es die Leute einfach gestört hat.“

Der sehbehinderte Multiinstrumentalist kann sich nicht konzentrieren, wenn er merkt, dass er seine Mitmenschen mit seiner Musik stresst: „Da bin ich schon sensibel. Aber hier unten kann ich auch nachts spielen, wenn ich will. Das ist wundervoll.“

Instrumente im Studio dienen auch der Soundidee

Den meisten Platz in seinem Studio nimmt der schwarze Flügel ein. „Das ist das Instrument, an dem ich als Musiker gewachsen bin“, merkt der 42-Jährige an und erklärt, dass er die übrigen Instrumente im Studio wie Schlagzeug, Trompete, Cello, Ukulele oder Gitarre zwar gerne zum Musizieren verwendet, diese aber auch für sein kreatives Schaffen als Soundidee dienen:  „Ich bin jetzt kein Profi an allen Instrumenten, sondern ich mag vielmehr die Ähnlichkeiten und die jeweiligen Unterschiede im Klang. Das finde ich sehr spannend.“

Der Ton macht die Musik, doch das ist für den Berliner nicht unbedingt entscheidend. Als blinder Musiker geht er über den Sound hinaus und integriert sein Raumgefühl in sein Schaffen. Zur einfachen Verdeutlichung klatscht er einmal in die Hände: „Mich interessiert, wie der Raum an sich klingt, wie er funktioniert. Und natürlich die Tatsache, dass es dieses Ding ‚Hören‘ überhaupt gibt. Was ist das eigentlich? Das finde ich auch deshalb spannend, weil ich hauptsächlich mit Leuten zu tun habe, die sehen können und bei denen das Hören in der Regel nicht so wichtig ist.“

Für Menschen, die gar nichts sehen, sei das Hören hingegen der wichtigste Hauptsinn, so Hauer: „Wir Nichtsehende orientieren uns ja mit dem Hören. Wenn ich die Reflexionen von den Wänden wahrnehme, habe ich eine ungefähre Vorstellung von den Dimensionen des Raumes.“

Musikerfahrungen in der Ausnahmesituation 

Der Ausbruch der Corona-Pandemie traf die Musikbranche mit voller Wucht. Auch Jonas Hauer musste mit seinen zahlreichen Projekten umdisponieren und Auftritte absagen: „Eigentlich wären der Mai und der Juni superbusy gewesen. Das ist durch Corona jetzt alles weggefallen.“ Würde der Berliner nicht neben der Musik noch beispielsweise für Museen und im öffentlich-rechtlichen Bereich im Segment der Audiodeskription arbeiten, wäre es schwierig für ihn geworden: „Dann wüsste ich echt nicht, wie ich die letzten drei Monate überbrückt hätte. Ich kenne sehr viele Leute, die über Skype Musikunterricht geben. Sowas würde ich dann in dem Fall auch machen. Die Leute, die es noch krasser trifft, sind neben den Musikern auch die Veranstaltungstechniker und Tonleute. Die bauen ja nicht ihre Boxentürme auf, wenn keiner zur Veranstaltung kommt.“

Streamen statt Auftreten

Auch in Hauers Freundeskreis gibt es Menschen, die in dieser Branche arbeiten, große Lagerräume für ihr Equipment gemietet haben und derzeit keine Einnahmen vorweisen können. „Das ist für sie echt hart. Wenn wir Musiker Zeit übrig haben, dann setzt du dich hin, übst und arbeitest an deiner Musik. Derzeit können wir auch etwas mit Streaming reinholen. Ich persönlich könnte mir aber nicht vorstellen, solo ein Streaming-Konzert zu spielen.“ Dazu bräuchte es schon eine Gruppe, so Hauer. Wie das klingt, hat er im Juli mit „Dota“ beim Deutschlandradio zeigen können. Im Sommer sind nun auch weitere Konzerte mit der Gruppe um Singer-Songwriterin Dota Kehr geplant.

Hauer hat aber auch seine ganz eigene Philosophie, mit der Pandemie umzugehen. Aus seiner Perspektive ist der Extremfall sehr interessant: „Ich beobachte, was die ganze Situation mit mir selbst macht; wie mich das alles beschäftigt. Den Anfang der Pandemie fand ich sehr schön, weil es so leer draußen war. Kein Mensch war unterwegs. Man konnte über die sonst supervollen Einkaufsstraßen Berlins laufen, als wäre immer Sonntag. Das fand ich total angenehm.“

Von Bill Evans Musik maßgeblich geprägt 

Jonas Hauer macht seit seinem sechsten Lebensjahr Musik. Der Pianist, der ihn auf seinem Lebensweg am meisten geprägt hat, ist Bill Evans: „Das ist wie ein Bumerang-Effekt. Zu dem komme ich immer wieder zurück. Auch Keith Jarrett hat mich wahnsinnig fasziniert.“ Der Berliner Musiker kann sehr lange über Jazz sinnieren, über den riesigen Facettenreichtum dieses Musikstils. Besonders hier merke man die Verbindung zur Musik, die im Moment entstehe und dann so inspirierend wirke, so Hauer: „Mein Ziel als Musiker ist, dass ich ein Medium bin, dass ich es fließen lasse. Musik muss durchlässig sein.“ Wenn Musiker*innen dabei auch mal danebenhauen, sei das völlig nebensächlich. „Miles Davis hat gesagt: Wenn es mal nicht richtig läuft, dann nimm das, was gerade da ist, als Idee und mache etwa draus. Dieses Konzept ist super und hat mich schon oft gerettet“, lacht Hauer und erzählt, dass es im Laufe seines Lebens nicht immer so einfach war.

Musik wird erfühlt

Bereits im Studium musste er lernen, sich seine Partituren zu erarbeiten: „Der Prozess, ein Stück zu lernen, ist für Nichtsehende wesentlich komplizierter. Wenn ich Stücke zum ersten Mal vom Notenblatt erfühle, dann muss ich sie entweder komplett auswendig lernen oder ich spiele sie Hand für Hand und setze dann zum Schluss alles zusammen.“ Hauer kennt auch viele nichtsehende Musiker, die komplett nach Gehör spielen und gar nicht mit Noten arbeiten. „Natürlich ist das für das grobe Spielen hilfreich. Es birgt natürlich auch die Gefahr, dass man Interpretationen übernimmt. Aus diesem Grund habe ich das während des Musikstudiums nie gemacht.“

Assistenz könnte Auftritte erleichtern

Praktische Probleme treten für den sehbehinderten Multiinstrumentalisten auch beim Touren auf. In einem fremden Club ist Hauer stets auf andere Menschen angewiesen: „Die Orientierung funktioniert nur, wenn irgendwer mich ständig von A nach B bringt. Sei es vom Backstage-Bereich auf die Bühne oder zurück ins Hotel. Ich kann auf einer Tour nur schwer eine Entscheidung für mich treffen. Das finde ich schwierig.“ Gerade aber für das Genießen der Resonanz des Publikums sei eine gewisse Unabhängigkeit unabdingbar. Aus diesem Grund hat Hauer das Touren seit 2018 eingeschränkt und sich auf kleinere Konzertserien konzentriert.

Allerdings gäbe es eine Konstellation, in der er sich vorstellen könnte, wieder länger mit seinen Projekten auf Tour zu gehen: „Es gibt ja die sogenannte Arbeitsassistenz für Menschen mit Behinderung. In dieser Situation ist es noch mal was anderes, weil man dann doch etwas unabhängiger ist und auch die Bandkollegen entlastet.“ Bisher habe Hauer diese Hilfe aber nicht in Anspruch genommen.

Barrierefreiheit muss weitergedacht werden 

Hindernisse im Alltag findet der Multiinstrumentalist aber auch im Internet. Bei der zur Software seien bestimmte Anwendungen wie Virenscanner oder Media-Player vor zehn Jahren barrierefreier gewesen als heute, so Hauer: „Neulich wollte ich mit meinem Sohn, der gerne Schach spielt, eine Schach-App runterladen. Ich glaube, ich habe 25 verschiedene Apps durchprobiert, die alle nicht liefen, weil sie nicht barrierefrei programmiert waren. Für mich ist das echt frustrierend.“

Zudem bestehe trotz der gewaltigen Innovation die Gefahr, dass durch die technischen Lösungen die Menschen nicht mehr dafür sensibilisiert seien, auf ihre Umgebung zu achten, meint der Berliner.  „Im digitalen Zeitalter, in der die Welt immer komplexer und Darstellungen immer grafischer werden, muss man Webseiten im Internet von Grund auf barrierefrei gestalten. Es muss in den Tools, in den Grundelementen der Seiten, selbst drinstecken. Solange es Möglichkeiten gibt, Bilder hochzuladen, ohne eine Bildunterschrift für Nichtsehende zu setzen, werden es die Leute auch weiterhin tun. Das ist doch logisch.“


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