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Bündnis Inflationsausgleich in Schleswig-Holstein und Hamburg veröffentlicht offenen Brief an Bettina Hagedorn, MdB

Pressemeldung Kurzmeldung

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

Ihren Brief vom 27.05.2024 an Jürgen Fischer aus Stockelsdorf interpretieren wir als auch an das Bündnis Inflationsausgleich gerichtet, da unsere Aktivitäten und insbesondere unsere Unterschriftensammlung mittlerweile auch in der Bundespolitik Aufmerksamkeit erregt haben. Danke deshalb zunächst dafür, dass Sie unsere umfassende Bündnisarbeit anerkennen und unsere Forderung nach einem „Inflationsausgleich auch für Rentner*innen“ gut nachvollziehen können. Schließlich war es ja Kanzler Scholz, der einen Inflationsausgleich im Zuge der Tarifauseinandersetzungen ins Spiel gebracht hat.

Wie wirksam die Empfehlung des Kanzlers war, zeigen die Tarifabschlüsse insbesondere im Öffentlichen Dienst und damit auch der Inflationsausgleich für die Pensionär*innen. Warum also nicht auch für Rentner*innen? Sind wir etwa Bürger*innen zweiter Klasse? Oder sind wir wieder nur „vergessen“ worden wie bei der Energiepreispauschale, die wir uns erst mühsam erstreiten mussten? Sie schreiben sich die einmalige Energiepreispauschale für Rentner*innen von 300,- Euro als Erfolg der Bundesregierung auf die Fahnen. Diese wurde allerdings erst im Rahmen des dritten Entlastungspaketes beschlossen und war zu versteuern, was angesichts der Milliardenbeträge, die zu Bewältigung der Corona-Krise und der Energiepreissteigerung für viele Haushalte mit geringem Einkommen bzw. kleinen Renten nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein gewirkt hat.

Die Grundrente war wie Sie schreiben in der Tat ein wichtiges sozialpolitisches Projekt der vorherigen Bundesregierung. Sie ist in Wahrheit ja nur ein Zuschlag, aber sie hat bei 1,3 Mio. Rentner*innen für ein monatliches Plus auf dem Konto gesorgt. Das von Ihnen angeführte Beispiel einer Floristin mit 40 Beitragsjahren, die nun durch den Grundrentenzuschlag 419,- Euro monatlich mehr im Portemonnaie hat, führt allerdings in die Irre. Es ist nicht repräsentativ für den Großteil der Frauen mit kleinen Renten, die besonders stark von Altersarmut betroffen sind. Durchschnittlich hat der Grundrentenzuschlag eine Höhe von 86,- Euro im Monat. Das stellt für viele eine Verbesserung dar. Insbesondere aber für die von Ihnen angeführten Frauen mit kleinen Renten gilt aber, dass besonders in den westlichen Bundesländern die erforderlichen Beitragszeiten von 33 Jahren von vielen nicht erreicht werden. Darüber hinaus werden beispielsweise Zeiten von Arbeitslosigkeit für die Grundrente nicht anerkannt. Die Zugangshürden für die Grundrente sind deutlich zu hoch und wurden in unseren Augen absichtlich so gewählt vor dem Hintergrund der Geldsumme, die die Politik hierfür auszugeben bereit war. 

So klar, wie fürSie unsere Forderung angesichts der aktuellen Haushaltslage absolut unerfüllbar ist, ist für uns die Tatsache, dass die Rentenanpassungen der Jahre 2021, 22, 23 die enormen Inflationsraten (in Summe 15,9 %, bei kleinen Renten nochmal deutlich höher) nicht ausgeglichen haben. Die hohen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln, der Energie und den Mieten wirken auf die kleinen Einkommen besonders stark. Das Bundesministerium für Soziales hat mit der Anpassung des Bürgergeldes um 10 % diesem Sachverhalt Rechnung getragen. Das ist auch gut so!

Seit Jahren stellen wir fest, dass in Deutschland die Binnenkonjunktur schwächelt. Nun gerät im Zuge globaler Krisen auch die Exportwirtschaft in Schwierigkeiten. Ein Inflationsausgleich für die Bezieher*innen von kleinen Renten ist somit auch ein gigantisches Konjunkturprogramm, da in ärmeren Haushalte Mehreinnahmen unmittelbar in den Konsum fließen. Gegen (Alters-) Armut hilft Geld! Die Bundesregierung beteiligt sich hingegen an der Diffamierungskampagne gegen vermeintlich arbeitsscheue, tatsächlich aber vor allem arme Menschen, in dem sie die richtigen, wenn auch winzigen Reformschritte des „Bürgergeldes“ schon wieder zurücknehmen will.

Sehr geehrte Frau Hagedorn, als „Haushälterin“ überblicken Sie die Renten- und Inflationsentwicklung auch über den Zeitraum von 2000 - 2022 und müssen feststellen, dass die Renten in den 22 Jahren ein Plus von 5,4 % zu verzeichnen haben. Das bedeutet, die Renten sind über diesen langen Zeitraum von der allgemeinen gesellschaftlichen Einkommensentwicklung (und auch der Lohnentwicklung, die real um über 20 % gestiegen ist) völlig abgekoppelt worden. In fünf Jahren sind die Renten überhaupt nicht angepasst worden (2004, 2005, 2006, 2010 und 2021).

Die Reform der Erwerbsminderungsrente und die Einbeziehung der Bestandsrentner*innen war längst überfällig. Auch hier haben die Verbände seit vielen Jahren darauf hingewiesen, dass die Anhebung allein für Neurentner*innen eine große Ungerechtigkeit ist.

Die materielle Lage einerseits und die wie selbstverständlich erfolgten Inflationsausgleichszahlungen an die Pensionär*innen andererseits, sind die Antriebsfedern unserer Protestaktionen. Wir sind der Auffassung, dass die Zahlungen an die Pensionär*innen berechtigt sind, wenn auch eine umgekehrte Proportionalität gerechter wäre, d.h. 1050 € für die oberen Beamten und 2152 € für die „kleinen“. Frau Bentele (VdK) und Frau Engelmeier (SoVD) fordern, die Rentner*innen beim Inflationsausgleich genau wie die Pensionär*innen zu behandeln, allerdings ohne den oben erwähnten „Konstruktionsfehler“.

Wir haben beim Sammeln der Unterschriften einen breiten gesellschaftlichen Konsens für eine Erwerbstätigenversicherung für alle als einen Baustein für die Bekämpfung von Altersarmut und für die Stabilisierung unseres Rentensystems wahrgenommen. AWO, SoVD, VdK, IGM, Verdi und auch die SPD fordern solch eine grundsätzliche Lösung, die schon in einigen europäischen Staaten Realität ist. Sie, Frau Hagedorn, erwähnen diese gerechte Forderung mit keinem Wort.

Die Adenauer-Regierung hat zu Beginn der fünfziger Jahre am deutschen Berufsbeamtentum – trotz des unrühmlichen Verhaltens weiter Teile der Beamten während des Nationalsozialismus – festgehalten und bei der großen Rentenreform 1957 hat der Kanzler mit Absicht auch die Selbständigen von der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeklammert und damit die Grundlage für unsere heutigen Probleme gelegt. Spätere Regierungen haben sich an eine grundlegende Reform nicht herangetraut. Es ist eine große politische Aufgabe auf dem Wege zu einer Erwerbstätigenversicherung diese historischen Fehler zu korrigieren. Mit unserer Kampagne für einen „Inflationsausgleich auch für Rentner*innen“ machen wir einen ersten Schritt in diese Richtung.

 Wir wollen nicht verkennen, dass mit der Einführung der Grundrente, der Erhöhung des Wohngeldes und mit der Erhöhung der Renten für die Erwerbsminderungsrentenempfänger Ungerechtigkeiten angegangen worden sind. Das ist aber auch die Pflicht der Politik nach dem grundgesetzlich gebotenen Sozialstaatsprinzip. (§20 GG). 

Was die Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 % betrifft, muss ehrlicherweise festgehalten werden, dass es sich nur um eine „Schadensbegrenzung“ handelt, weil ein Absinken des Niveaus schon Anfang der 90iger Jahre durch die Änderung der Rentenberechnungsformel und seit 2004 durch die Aufnahme des „Riesterfaktors“ in die Rentenformel ermöglicht wurde. Sozialminister Hubertus Heil versucht damit halbwegs auszubügeln, was die Schröder-damals Regierung angerichtet hat.

Wir danken Ihnen für Ihre ausführliche Stellungnahme und freuen uns auf die kommenden Diskussionen.

Mit besten Grüßen

das Bündnis Inflationsausgleich in Schleswig-Holstein und Hamburg

Ein PDF des offenen Briefes mit den Logos aller Unterzeichner*innen finden sie hier.