Die Tagung „Stimmen zur Inklusion 2021“, die am Freitag, 26. März 2021 vom Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung und dem Sozialverband Deutschland, Landesverband Schleswig-Holstein, coronabedingt als Live-Stream veranstaltet wurde, wurde deutlich: Das Verständnis für Inklusion ist in der Gesellschaft gestiegen, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen findet dennoch zu häufig statt, bei der Barrierefreiheit hat sich vieles verbessert und für mehr Partizipation bedarf es den stringenten Aufbau von Strukturen vor allem auf kommunaler Ebene.
Die Tagung fand als Hybrid-Veranstaltung statt. Durch den Nachmittag, zu dem im Rendsburger Hotel ConventGarten rund 20 Gäste geladen waren, führte der Comedian, Schauspieler und Profi-Basketballer im Rollstuhl, Tan Caglar. Nach einer musikalischen Einstimmung durch die Gruppe Godewind begrüßte Alfred Bornhalm, Landesvorsitzender des Sozialverbands Deutschland, Landesverband Schleswig-Holstein, die Gäste im Saal und darüber hinaus alle diejenigen, die bundesweit dem Live-Stream folgten. „Heute geht es um die Stimmen vieler. Heute vor zwölf Jahren trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Vieles wurde seither auf den Weg gebracht, um Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Doch auch 2021 ist Deutschland noch keine inklusive Gesellschaft, wenngleich es Fortschritte gibt“, diagnostizierte der Landesvorsitzende. Im anschließenden Grußwort von Daniel Günther, betonte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident den politischen Willen, bei diesen Themen zukünftig noch mehr zu erreichen: „Unser Ziel als Landesregierung ist es, Schleswig-Holstein noch inklusiver zu machen, Barrieren abzubauen, ein Bewusstsein zu schaffen für die Belange von Menschen mit Behinderung und echte Partizipation zu ermöglichen“, sagte der Ministerpräsident, und ergänzte: „Uli Hase hat in seiner Zeit als Landesbeauftragter Großartiges geleistet. Ohne ihn gäbe es zum Beispiel das Landesgleichstellungsgesetz nicht.“
Nächster Programmpunkt waren Ausführungen des bundesweit bekannten Schauspielers Samuel Koch. Er berichtete, mit welchen Barrieren und Vorurteilen er als Mensch im Rollstuhl häufig zu kämpfen habe – insbesondere wenn er auf Reisen sei. „Manchmal schließen Menschen sogar von einer körperlichen auf eine geistige Behinderung“, erzählte Koch. „Ich würde mir wünschen, dass Film und Fernstehen stärker das wiedergeben, was man draußen in der Welt sieht. Dadurch würden Denkräume geöffnet werden.“ Dem stimmte Tan Caglar zu: „Wir machen Fortschritte bei der Inklusion. Viel läuft hier über Präsenz.“ Der Comedian brachte im Anschluss einige Szenen aus seinem Bühnenprogramm, indem tatsächlich Erlebtes den Schwerpunkt bildete, denn „Comedy wird im echten Leben geschrieben“. Wenn Menschen mit Behinderungen dabei seien, gäbe es allerdings oft Bemerkungen auf deren Kosten.
Aus Frankfurt zugeschaltet, schilderte danach der hessische Landtagsabgeordnete Bijan Kaffenberger, mit welchen Vorurteilen er als Mensch mit Tourette-Syndrom in der Vergangenheit konfrontiert wurde, und wie es ihm gelang, seine Kritiker mit starken Inhalten von seiner Qualität als Politiker zu überzeugen. „Teilhabe muss erkämpft werden. Dafür brauchen wir Vorbilder. Wir müssen mehr Diversität in die Parteien bringen. Wenn wir die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen erhöhen, erreichen wir mehr. Allein das wären Symbole für Inklusion“, erklärte Kaffenberger.
Den inhaltlichen Schwerpunkt der Tagung bildete die Vorstellung von Ergebnissen einer landesweiten Umfrage unter 276 Personen, die in unterschiedlichen Zusammenhängen an inklusiven Prozessen in Schleswig-Holstein beteiligt sind – aus Ministerien, Verbänden und Institutionen sowie Kommunale Beauftragte und Beiräte. Ulrich Hase präsentierte zahlreiche Ergebnisse der Umfrage und diskutierte dabei mit den zugeschalteten Landtagsabgeordneten Wolfgang Baasch (SPD), Dr. Marret Bohn (Bündnis 90/Die Grünen), Dennys Bornhöft (FDP), Christian Dirschauer (SSW), Andrea Tschacher (CDU) sowie dem Referatsleiter für die Gesamtkoordinierung der UN-Behindertenrechtskonvention, Focal Point und Fonds für Barrierefreiheit in der Staatskanzlei Markus Küssner.
Ein Ergebnis der Umfrage: Auf Landesebene scheint das Verständnis für Inklusion schon vorangeschritten, jedoch nicht auf kommunaler Ebene. „Die Erfahrung aus eigenen Projekten zeigt: Im Bereich kommunaler Verwaltung und Selbstverwaltung besteht nach wie vor großer Informationsbedarf zu den Themen Inklusion, Barrierefreiheit und der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“, heißt es bei einer Stimme in der Umfrage. Einiges verbessert hätte sich dagegen in den letzten Jahren im Bereich Barrierefreiheit. „Die Inklusion ist auf dem Weg“, sagte Ulrich Hase, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung. „In den letzten zweieinhalb Jahrzehnten hat sich die Inklusion vom Ödland in ein Bauland gewandelt. Es hat sich einiges entwickelt, aber alle sehen, wie viel noch zu tun ist.“ Im sozialen und privaten Wohnungsbau beispielsweise sei Barrierefreiheit bisher kaum ein Thema, wenngleich es gesetzliche Verpflichtungen gäbe. Was fehlt, seien Sanktionsmechanismen und stärkere Richtlinien auf Basis eines Universellen Designs. „In diesem Bereich sollte es noch mehr Forschung geben“, sagte Hase. Deutlich Luft nach oben gäbe es auch bei der Partizipation. „Menschen mit Behinderung sollten mitentscheiden dürfen. Und dafür müssen die Beteiligungsformate barrierefrei sein.“ „Was wir etablieren sollten, sind Foren auf kommunaler Ebene, mit denen der Austausch mit unterschiedlichsten Gremien und Institutionen gewährleistet werden kann,“ hatte Alfred Bornhalm, Landesvorsitzender des Sozialverbands Deutschland, Landesverband Schleswig-Holstein, vor Beginn der Veranstaltung bei einem Pressegespräch gesagt.
Eine weitere Forderung an die Politik, formulierte der Landesbeauftragte am Ende der Diskussion: „Menschen mit Behinderungen brauchen Assistenz. Und die muss finanziert werden. Hier reichen die bisherigen Mittel aus dem Bundesteilhabegesetz nicht aus.“ Mit immerhin 5 Millionen Euro bis 2024 werde der Fonds für Barrierefreiheit des Landes aufgestockt, berichtete Markus Küssner.
Michaela Pries, die ab 22. April 2021 Uli Hase als Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung ablöst, betonte in ihrem Beitrag, dass man bei der Diskussion um Barrierefreiheit oft zu viel auf der Metaebene unterwegs sei: „Es geht doch um das Machbare, das Niedrigschwellige. Wir sollten auf der menschlichen Ebene Zugänglichkeiten schaffen – dann kommen wir weiter! Und wir müssen rauskommen aus dem Denken in Kategorien. Wir sind alle Menschen!“
Uli Hases Fazit seiner Zeit als Landesbeauftragter ging in die gleiche Richtung: „Nichts passiert von heute auf morgen. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Wichtig ist, dass Menschen mit Behinderung auf Augenhöhe ins Gespräch kommen können. Und dafür muss man entsprechende Strukturen schaffen. “