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Verbände fordern, in der Corona-Pandemie endlich das Thema Armut in den Blick zu nehmen

Pressemeldung

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen in Armut lebende Menschen ungleich härter als den übrigen Teil der Gesellschaft. In einer gemeinsamen Presseerklärung fordern die schleswig-holsteinischen Landesverbände von AWO, DGB, Kinderschutzbund, PARITÄTISCHER und Sozialverband die Politik auf, während und nach der Krise nachhaltige Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zu ergreifen.

Wie durch ein Brennglas werden durch die Corona-Krise die strukturellen Defizite in unserer Gesellschaft sichtbar. Erst jetzt nehmen viele wahr, dass offensichtlich nicht nur Banken und Autohersteller systemrelevant sind, sondern vielmehr Pflegekräfte, Verkäufer*innen, Erzieher*innen und viele weitere Berufsgruppen, die bisher weitestgehend unter den Radar von Politik und Gesellschaft fielen.

Trotz dieser Erkenntnis werden weder „Pflegegipfel“ noch „Bildungsgipfel“ abgehalten, in den Medien wird länger über Geisterspiele in der Bundesliga als über die Unvereinbarkeit von Homeoffice, Homeschooling und Kinderbetreuung diskutiert. Und diejenigen, die keine Lobby haben, kommen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor und werden von der Politik vergessen: Menschen, die bereits vor der Corona-Krise in prekären Lebens- oder Arbeitsverhältnissen lebten und nun an ihr finanzielles, physisches und psychisches Limit geraten. Kurzarbeit und die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes verstärken die Situation noch.

Uwe Polkaehn, Vorsitzender DGB Nord: „Schleswig-Holstein ist bundesweit Spitzenreiter bei prekärer Beschäftigung. 46 % aller Beschäftigten arbeiten prekär! 22 % der Beschäftigungsverhältnisse sind Minijobs – vor allen von Frauen besetzt – mit schlechter sozialer Absicherung. Das wird jetzt in der Krise besonders deutlich: Kein Arbeitslosengeld, kein Kurzarbeitergeld! Zusätzlich werden in Schleswig-Holstein die niedrigsten Löhne der westlichen Bundesländer gezahlt, und nur noch 44 % der Beschäftigten fallen überhaupt unter den Schutz von Tarifverträgen! Damit ist klar: Der ohnehin dringende Handlungsbedarf hat sich durch die aktuellen Folgen von Corona noch einmal deutlich verschärft. Deshalb fordern wir einen sozialen Schutzschirm für Menschen in prekärer Beschäftigung und Niedriglohn.“

„Arme Menschen haben in dieser Krise das Nachsehen. Familien, die sowieso wenig haben, treffen die Auswirkungen mit existenzieller Wucht. Es ist an uns allen, jetzt als Gesellschaft Solidarität zu zeigen. Wir fordern 100 Euro monatliche Soforthilfe für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind und für Kinder aus sozialschwachen Familien eine Förderung der digitalen Ausstattung für den Schulunterricht durch das Land mit 150 Euro. Außerdem müssen wir uns vergegenwärtigen, welche Arbeitskräfte das Rückgrat der Gesellschaft sind und das auch finanziell anerkennen. Es sind vor allem die Menschen, die tagtäglich die Sorge für andere tragen, in deren Gehältern sich dieses gesellschaftliche Engagement in keiner Weise niederschlägt“, sagt der AWO Präsidiumsvorsitzende Wolfgang Baasch.

Michael Saitner, geschäftsführender Vorstand des PARITÄTISCHEN SH, ergänzt: „Bereits vor der Pandemie war die Chancenungerechtigkeit in einem so reichen Land wie Deutschland beschämend groß. Der wochenlange Schulausfall hat die Bildungsungleichheit verstärkt, für viele Kinder ist die Wahrscheinlichkeit, eine höhere Schulbildung als ihre Eltern zu erfahren, noch weiter gesunken. Wir fordern das Bildungsministerium auf, endlich diese Kinder verstärkt in den Fokus zu nehmen, um Armutskarrieren zu verhindern. Dafür braucht es eine Reform hin zu einem Schulsystem, das einen hohen Anteil an sozialpädagogischer Betreuung beinhaltet und arme Kinder stärker fördert. Durch das jetzige System wird soziale Ungleichheit zementiert, Kinder aus finanziell schwachen Familien werden abgehängt.“

Irene Johns, Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein fügt hinzu, dass es neben der abnehmenden Bildungsgerechtigkeit für arme Kinder in Zeiten von Corona zudem um ganz existenzielle Probleme gehe: „So fällt für Kinder aus einkommensschwachen Familien das beitragsfreie Mittagessen in Kita und Schule weg. Die Familien erhalten aber keine zusätzlichen Mittel, um das auszugleichen“, erinnert die DKSB SH Landesvorsitzende Irene Johns. „So geraten gering verdienende oder erwerbslose Eltern zunehmend in die belastende Situation, dass die Versorgung ihrer Kinder für sie noch schwieriger wird als bisher – das ist nicht hinnehmbar. Der Kinderschutzbund fordert daher ihnen als Ausgleich für das wegfallende kostenlose Mittagessen eine unbürokratische Soforthilfe zu zahlen. Die Gelder aus dem Bildungs- und Teilhabepaket werden aktuell ohnehin nicht ausgegeben und könnten so zumindest diese Not lindern.“

Der Sozialverband macht auf das Schicksal vieler Rentner*innen während der Corona-Krise aufmerksam: „Seit jeher werden Erwerbsminderungsrentner*innen finanziell dafür bestraft, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können. Denn die karge Rente wird durch Abschläge von bis zu 10,8 Prozent noch weiter verringert. Durch die Krise steigen nun die Preise für frische Lebensmittel. Gleichzeitig fehlen in vielen Supermärkten immer noch günstige Grundnahrungsmittel durch Hamsterkäufe. Jetzt ist schnelles Handeln gefordert, die ungerechten Abschläge in der Erwerbsminderungsrente müssen dringend abgeschafft werden“, fordert Jutta Kühl, Landesvorsitzende des Sozialverbands Schleswig-Holstein.